Jan van Aken in Kassel: Wie die Linke in den Bundestag einziehen will

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Linke-Co-Vorsitzender Jan van Aken war am Donnerstag, 30. Januar 2025, auf Wahlkampfbesuch in Kassel. (Foto: Stephan Haberzettl/Clipmedia)

Im prall gefüllten Stadtteilzentrum Vorderer Westen in Kassel hat der Linke-Spitzenkandidat Jan van Aken für das Programm seiner Partei und Stimmen bei der Bundestagswahl geworben.

Kassel – Die Linke will es packen. Mindestens 5 Prozent erhoffen sich die Genossinnen und Genossen und damit den Einzug in den Bundestag – selbst wenn die Mission Silberlocke nicht erfolgreich sein sollte. Mit Heidi Reichinnek und Jan van Aken hat die Linke ein Spitzenkandidaten-Duo aufgestellt, das unterschiedliche Wählergruppen anspricht. Reichinnek zeigt sich mit hektisch geschnittenen Clips auf TikTok und van Aken ist der seriöse Vorkämpfer für soziale Gerechtigkeit.

Wenn man nach den jüngsten Umfragen geht, dann könnte diese Strategie aufgehen. Je nach Institut liegt die Linke schon wieder bei 5 Prozent, nachdem sie zwischenzeitlich auf 3 Prozent abgerutscht war. Über mangelnden Zuspruch musste sich der Kreisverband Kassel-Stadt am Donnerstag, 30. Januar 2025, jedenfalls nicht beklagen. Die Gäste im rappelvollen Stadtteilzentrum Vorderer Westen erwarteten gespannt, was Spitzenkandidat Jan van Aken zu sagen hatte.

„Mieten deckeln, Preise senken, Frieden schaffen!“ So stand es auf dem Ankündigungsplakat. Und so lässt sich der Bundestagswahlkampf der Linken insgesamt zusammenfassen. Alles andere tritt in den Hintergrund, darunter die Schlagzeilen-Themen Migration und Wirtschaftskrise.

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Stellten die Wahlkampf-Themen der Linken vor: (von links) Julia Weisenberger, Silvia Hable, Violetta Bock und Jan van Aken. (Foto: Paul Bröker)

Drei Direktkandidatinnen im Gespräch mit Jan van Aken

Auf dem Podium saß der Co-Vorsitzende nicht allein. An seiner Seite: Violetta Bock, Direktkandidatin im Wahlkreis 167 (Kassel), Silvia Hable, Direktkandidatin im Wahlkreis 168 (Werra-Meißner/Hersfeld-Rotenburg), sowie Julia Weisenberger, Direktkandidatin im Wahlkreis 211 (Altötting (Bayern)).

Geschätzt 300 Menschen waren ins Stadtteilzentrum Vorderer Westen in der Elfbuchenstraße 3 gekommen. Schon um 18.30 Uhr war der Saal so voll, dass Stühle wieder herausgetragen werden mussten, um Platz zu schaffen für diejenigen, die der Podiumsdiskussion im Stehen folgen wollten. Silvia Hable, die als stellvertretende hessische Landesvorsitzende den Abend moderierte, war begeistert: „Wie viele ihr seid, das ist toll.“

Für Jan van Aken schließen sich Spaß und Ernsthaftigkeit nicht aus

Jan van Aken stellte sich als Erster vor: Jahrelange habe er, der seit 17 Jahren Mitglied bei der Linken ist, gesagt: „Politik macht mir Spaß, obwohl ich bei der Linken bin.“ Jetzt könne er sagen: „Es macht Spaß, weil ich bei der Linken bin.“ Diese Stimmung habe er auch beim Neumitgliedertreffen beim Imbiss Crunchy Kebap an der Friedrich-Ebert-Straße wahrgenommen. Statt verkrampft und oberlehrerhaft aufzutreten, wie das der Linken oft unterstellt werde, gehe es ihm darum, die Welt zu verbessern und Spaß dabei zu haben. „Spaß und Ernsthaftigkeit schließen sich doch nicht aus“, bekräftigte van Aken.

Violetta Bock präsentierte ihren Wahlkampf-Slogan: „Radikal sozial“, mit dem sie auch schon in ihre vorigen Wahlkämpfe gezogen war. Diesmal ergänzt um den Zusatz: „Auch nach der Wahl“. Für sie sei es wichtig, an die Wurzel der sozialen Ungleichheit zu gehen. Das Hauptproblem ihr zufolge: dass der Profit an erster Stelle steht.

Julia Weisenberger berichtete aus dem bayerischen Altötting, wo schon die Grünen als radikale Partei gelten würden. Mit ihrem Beitritt zum dortigen Linken-Kreisverband habe sie, die als selbständige Übersetzerin für Comics und Mangas arbeitet, die Mitgliederzahl im Alleingang um 25 Prozent erhöht. Ein Erfolg bei der Bundestagswahl sei für den dortigen Kreisverband nicht Priorität, auch wenn der Zuspruch für die Linke zunehme. Man orientiere sich schon in Richtung der bevorstehenden Kommunalwahl. „Es ist ein Marathon, kein Sprint“, stellte Weisenberger klar.

Silvia Hable betonte, dass es sich lohne, auch in ländlichen Gegenden Haustürwahlkampf zu machen. Dies habe sie erst kürzlich im Landkreis Hersfeld-Rotenburg wieder einmal festgestellt. Es sei derzeit ein Zuspruch für linke Themen zu spüren, was sich auch in der Anzahl der Neumitglieder bemerkbar mache. Erst am 28. Januar habe der Kreisverband Kassel-Land das 100. Mitglied hinzugewonnen.

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Diskutierten mit Jan van Aken und der Kasseler Direktkandidatin Violetta Bock: Julia Weisenberger aus Altötting (links) und Silvia Hable, Direktkandidatin in Werra-Meißner und Hersfeld-Rotenburg. (Foto: Stephan Haberzettl/Clipmedia)

Jan van Aken erinnert an Machtübernahme der Nazis am 30. Januar 1933

Jan van Aken rief zu Beginn seines Vortrags ein bedeutendes Ereignis in Erinnerung: „Vor 92 Jahren haben Konservative den Nazis die Macht übergeben“, sagte er in Bezug auf den 30. Januar 1933, als Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte.

Den Entschließungsantrag zur Abschottung der Bundesrepublik, den die Unions-Fraktion am Mittwoch, 29. Januar 2025, einbrachte und gemeinsam mit AfD und FDP beschloss, könne man als Wendepunkt der deutschen Demokratie auffassen, so van Aken.

Was nun folgen könnte, habe man in Österreich bereits erlebt. „Es spielt sich nach dem gleichen Playbook ab“, sagte der Linken-Co-Vorsitzende. Es gelte jetzt, etwas gegen diese Entwicklung zu tun.

Die Auffassung „Alle Demokraten gegen die Faschisten“ blende jedoch aus, dass die jetzige Lage Ergebnis der Politik der letzten 30 Jahre ist, an der auch die demokratischen Parteien ihren Anteil hatten. „Das Land wurde kaputtgespart, nichts funktioniert mehr.“

Die Linke tritt laut Jan van Aken mit konkreten Plänen an, damit es den Leuten wieder besser geht. Studien hätten gezeigt: In benachteiligten Vierteln, in denen die Mieten steigen, legt die AfD zu. „Die Menschen sind einfach verzweifelt.“ Ein bewährtes Mittel gegen Faschisten sei antifaschistische Wirtschaftspolitik.

Linke will Mieten nicht nur bremsen, sondern sie sogar deckeln

Die Linke stellt sich darunter vor allem einen sogenannten Mietendeckel vor, der nicht mit einer Mietpreisbremse zu vergleichen ist, wie van Aken betonte. Für jede Immobilie werde beim Mietendeckel eine Höchstmiete festgelegt. Dabei werden auch Bestandsmieten und nicht nur Neuvermietungen miteinbezogen. Für die Mieter gebe es dadurch dauerhaft bezahlbare Mieten. „Wir werden das durchbringen, auch wenn es vielleicht sechs Jahre dauert“, bekräftigte van Aken. Kurzfristig soll es in angespannten Lagen einen Mietenstopp geben.

Laut heutiger Einstufung gilt jedoch beispielsweise die Stadt Kassel nicht als angespannter Wohnungsmarkt und somit könnte auch der Mietendeckel nicht greifen. Einen Mietendeckel hatte die Linke bereits in Berlin durchgesetzt, jedoch wurde er vom Bundesverfassungsgericht kassiert, da laut dem Gericht nur der Bund die dafür nötige Gesetzgebungskompetenz besitzt.

Als zweiten Pfeiler der Wirtschaftspolitik im linken Wahlprogramm nannte van Aken den Kampf gegen die hohen Lebenshaltungskosten. Zwar habe die Inflation nachgelassen, doch die Preise verharrten auf hohem Niveau. Auch bei der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten hatte sich laut van Aken gezeigt, dass die Inflation ein entscheidender Faktor war. Die Linke will daher die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel und Hygieneprodukte komplett streichen, um die Lebenshaltungskosten zu senken.

Linke fordert weiterhin Umverteilung in ihrem Wahlprogramm

Auch Umverteilungsmaßnahmen fehlen im Linken-Wahlprogramm nicht. „Es sollte keine Milliardäre geben“, sagte van Aken. Eine Milliarde Euro zu haben, das sei unanständiger Reichtum. Ob sich hier linker Sozialneid äußere? „Nein, wir holen uns nur das zurück, was uns zusteht.“ Schließlich hätten die Arbeitnehmer den Reichtum der Milliardäre erwirtschaftet. Milliardäre sollen daher mit einer Steuer von 12 Prozent belegt werden.

Des Weiteren will die Linke die Vermögenssteuer wieder einführen. „Da sind wir konservativ“, sagte van Aken. Unter CDU-Kanzler Helmut Kohl habe es bis 1997 eine solche Steuer gegeben. „Das war völlig normal.“

Linke ist gegen Waffenlieferungen an Israel, Ukraine und Türkei

Als „Chef-Friedenstaube“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung war Jan van Aken in Tel Aviv, als am 7. Oktober 2023 Hamas-Terroristen über 1100 Menschen töteten. „Wir können uns hier nicht vorstellen, was dieser Tag für Israel bedeutet.“ Das Grundverständnis, dass der israelische Staat die Sicherheit seiner Bürger gewährleistet, sei infrage gestellt worden.

Daraufhin habe sich ein unfassbarer Hass auf die Palästinenser entladen. Ein Hip-Hop-Song, der die israelischen Charts belegte, proklamierte laut van Aken „vernichtet sie“. Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie der 7. Oktober 2023 dürfe jedoch keine Begründung für ein anderes sein, also für die brutale Kriegsführung der israelischen Armee, bei der Stand heute mehr als 47.000 Menschen getötet wurden.

Die Linke tritt dafür ein, dass Deutschland keine Waffen in diesen „schmutzigen Krieg“ liefert, wie van Aken erklärte. Wieso auch im Krieg zwischen Russland und der Ukraine Waffenlieferungen nicht das adäquate Mittel sind, habe er in seinem Buch „Worte statt Waffen“ (Ullstein, 2024) dargelegt. Auch Waffenlieferungen an die Türkei lehnt die Linke ab.

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Die Wahlkampfveranstaltung der Linken im Stadtteilzentrum Vorderer Westen in Kassel war so gut besucht, dass viele Gäste ihr nur im Stehen folgen konnten. (Foto: Stephan Haberzettl/Clipmedia)

Jan van Aken kritisiert, dass sich Grüne nicht in arme Menschen hineinversetzen können

Van Aken kritisierte in der anschließenden Diskussion ausdrücklich die Grünen. War der Klimaschutz bei der Wahl vor drei Jahren noch in aller Munde, so gelte er heute als Schimpfwort. Dies sei auch dem grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck anzulasten. Zwar habe auch die Hetze der Springer-Blätter zu dieser Stimmung beigetragen, bei der er nicht mitmachen wolle, so van Aken. Doch das Wärmepumpengesetz habe Habeck schlecht konzipiert. „Die Grünen können Klimaschutz einfach nicht sozial denken“, kritisierte van Aken. „Das liegt daran, dass sie Armut nicht fühlen können.“

Wäre es nach der Linken gegangen, dann wären die Wärmepumpen-Subventionen gestaffelt worden. Arme Hauseigentürmer hätten für eine Wärmepumpe keinen Cent mehr als für eine neue Gasheizung bezahlt und ab einem bestimmten Einkommen beziehungsweise Vermögen hätte es gar keinen Zuschuss gegeben. Klimamaßnahmen müsse man immer sozial denken, bekräftigte van Aken. Violetta Bock ergänzte: „Wir fordern, dass Busse und Bahnen kostenlos für alle sind. Die Grünen wollen, dass jeder ein E-Auto kauft.“

Nach Auffassung von Jan van Aken funktioniert Klimaschutz nicht durch den Einsatz von Preisen oder Steuern, sondern durch Ordnungspolitik. Ein Beispiel aus einem anderen Bereich: Statt Tabak und Alkohol durch eine höhere Steuer zu verteuern und somit gesundheitsschädliches Verhalten einzudämmen, solle man Werbung dafür einfach komplett verbieten.

Linke will nach der Wahl Musk-Plattform X (ehemals Twitter) verlassen

Warum die Linke noch auf X (ehemals Twitter) ist, wurde van Aken aus dem Publikum gefragt. Sicherlich wäre es ein gutes Signal gewesen, die Musk-Plattform während des Wahlkampfs zu verlassen, sagte van Aken. Jedoch hätten ihn befreundete Journalisten davor gewarnt. „Ihr dürft da keinesfalls raus“, habe es geheißen. Denn die Hauptstadtjournalisten würden sich immer noch dort tummeln und wenn man da nicht präsent sei, dann existiere man für die Presse schlichtweg nicht. „Bis zur Wahl bleiben wir drin“, sagte van Aken, dessen Lieblingstier der Delfin ist, was eine andere Publikumsfrage war.

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