
Zu einer Fragerunde hat am Dienstag, 4. Februar 2025, ein Bündnis angeführt von den Scientists for Future ins Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE in Kassel geladen. Die Kandidaten von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Linke stellten sich Fragen zur Energiewende.
Kassel – Zu der Podiumsdiskussion hatten die Scientists for Future, Fridays for Future, der BUND sowie die Wirtschaftsjunioren geladen. Prof. Dr. Andreas Ernst, Professor für Umweltpsychologie an der Universität Kassel, führte ab 18 Uhr durch den Abend. Mehr als 200 Gäste waren der Einladung gefolgt.
Prof. Dr.-Ing. Martin Braun, seit November 2024 Leiter des IEE, stellte zunächst sein Institut vor. Die Energiewende sei eine Herkulesaufgabe und damit richtig aufgehoben in der Stadt des Herkules. Denn die Energiewende könne nur global angegangen werden, betonte Braun. Das IEE wolle eine gute Sachgrundlage liefern, damit die Politik fundierte Entscheidungen treffen kann.
Es gebe keinen Zweifel in der Wissenschaft, dass der Klimawandel menschengemacht ist. „Das ist Fakt“, stellte Braun klar. Weiterhin gebe es Möglichkeiten, die Folgen des Klimawandels einzudämmen. „Wir sind noch nicht an den Kipppunkten angelangt“, erklärte er. Den größten Beitrag für den Klimaschutz könne die Abkehr von der fossilen Energieversorgung bringen. Fossile Energieträger seien nur noch eine Übergangstechnologie, so Braun.
„Müssen Energieversorgung neu erfinden“
Stattdessen müsse man weltweit andere Lösungen zur Befriedigung des Energiehungers finden. Photovoltaik und Windenergie seien dafür ideal geeignet, weil sie kostengünstig sind. Bereits heute können die erneuerbaren Energien mehr als 50 Prozent des Strombedarfs in Deutschland abdecken. Um den Anteil am Endenergiebedarf von heute lediglich circa 20 Prozent anzuheben, seien jedoch Anstrengungen im Verkehrsbereich und der Wärmeversorgung vonnöten. Anders gesagt: Elektroautos und Wärmepumpen.
Allein in regionalen oder nationalen Kategorien zu denken, reiche nicht aus, betonte Martin Braun. Stattdessen sei die Klimafrage in europäischen und globalen Strukturen verortet. Vor Deutschland stünden Jahrzehnte der Transformation. „Gefragt sind ein langer Atem und Planungssicherheit“, so Braun. Dazu passt wiederum nicht, dass die Union das von vielen Kommunen akzeptierte Heizungsgesetz revidieren möchten.
Leicht werde die Transformation jedoch nicht, so Braun. Schließlich gebe es einen Zielkonflikt zwischen nachhaltiger Energieerzeugung und bezahlbarer Energie für Bürger und Wirtschaft. „Wir müssen die Energieversorgung neu erfinden“, sagte der IEE-Leiter.
Direktkandidaten von CDU und AfD fehlen
An der Podiumsdiskussion, die laut Andreas Ernst eigentlich keine sein sollte, beteiligten sich die Direktkandidaten dreier Parteien. Daniel Bettermann für die SPD, Boris Mijatovic für Bündnis 90/Die Grünen sowie Violetta Bock für die Linke. Für die FDP war der erst 16-jährige Jungliberale Benjamin Bähre gekommen, in Vertretung des Direktkandidaten Jan Terborg. Obwohl er laut den Organisatoren seine Anwesenheit angekündigt hatte, blieb CDU-Direktkandidat Dr. Maik F. Behschad der Veranstaltung fern. AfD-Kandidat Thomas Schenk fehlte ebenfalls. Es ist jedoch unklar, ob die Organisatoren ihn überhaupt eingeladen hatten.
Statt untereinander zu diskutieren, wurde den Podiumsteilnehmern abverlangt, Fragen der Veranstalter zu beantworten. Hin und wieder intervenierten Faktenchecker, wenn die Verlautbarungen der Teilnehmer nicht stimmten. Jeder Teilnehmer hatte zunächst zwei Minuten Zeit für eine Antwort, im späteren Teil nur noch eine Minute.
Wie kann die Wirtschaft klimaneutral werden?
Runde 1: Die Scientists for Future wollten wissen, wie die Transformation der Wirtschaft hin zu Klimaneutralität gelingen kann. Welche Kernbereiche müssen dazu angegangen werden?
Daniel Bettermann (SPD): Es gebe eine große Transformation in der Industrie, besonders der Fahrzeugproduktion und Stahlindustrie. Da die Stromkosten aus dem Ruder laufen, müsse man dagegen etwas unternehmen.
Violetta Bock (Linke): Für Bock ist bei allen Maßnahmen die Klimagerechtigkeit zu berücksichtigen. Menschen stehen für sie an erster Stelle, vor den Unternehmen. Es brauche eine Mobilitätswende zu mehr ÖPNV und Radverkehr.
Benjamin Bähr (FDP): Für die FDP stehe fest, dass die Wirtschaft von Unternehmen lebt. Sie fordert daher eine Wirtschaftswende mit Bürokratieabbau. Qualifizierte Einwanderung will die FDP fördern. Warum die FDP im Bundestag trotzdem mit Union und AfD dafür gestimmt hat, die Zuwanderung stärker regulieren zu wollen, erläuterte Bähr nicht.
Boris Mijatovic (Bündnis 90/Die Grünen): Mijatovic erkannte an, dass es durch hohe Energiepreise Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen gibt. Dennoch dürfe das nicht bedeuten, Standards zurückzuschrauben. Der Ausbau der Stromnetze müsse voranschreiten. Die Grünen halten am Ausstieg aus der Braunkohleverstromung fest.
Wie wird die BRD wieder zum Fortschrittstreiber?
Runde 2: Die Wirtschaftsjunioren wollten wissen, wie Deutschland wieder zum Fortschrittstreiber wird, also wie die Wettbewerbsfähigkeit der BRD erhöht werden kann.
Grüne: Für Mijatovic ist Bildungsgerechtigkeit zentral. Jugendliche dürften nicht der Frustration überlassen werden.
FDP: Bähre erinnerte an das Startchancenprogramm der Ampel-Koaliton, das er für eine wichtige Errungenschaft hält.
Linke: Bock berichtete über ihre Erfahrung mit dem Bündnis Uni Kassel unbefristet. Sie forderte, dass der Wissenschaftsbetrieb weniger wettbewerbsorientiert agiert und von der Politik ausreichend finanziert wird.
SPD: Bettermann machte sich dafür stark, weniger zu meckern und mehr zu machen. Es gelte, eine positive Gründerkultur zu stärken, etwa durch mehr Risikokapital.
Wie kann der Fachkräftemangel angegangen werden?
Runde 3: Fridays for Future wollten wissen, wie man den Fachkräftemangel in wichtigen Bereichen abstellen kann.
FDP: Bähre plädierte für qualifizierte Einwanderung. Diese Forderung steht jedoch dem Beschluss seiner Partei mit Union und AfD entgegen, der sich gegen die europäische Asylpolitik wendet.
Linke: Für Bock sind offene Grenzen grundsätzlich wichtig. Gefragt seien jedoch auch bessere Arbeitsbedingungen, zum Beispiel in der Pflege. Auch im ÖPNV würden beispielsweise Busfahrer händeringend gesucht. Die Klimabewegung könne nur erfolgreich sein, wenn sie mit dem Kampf für bessere Arbeitsbedingungen Hand in Hand geht, findet Bock.
SPD: Die SPD setzt sich für einen Mindestlohn von 15 Euro ein. Da dies ohnehin der von der EU vorgegebenen Regelung von 60 Prozent des Medianlohns entspricht, ist diese Forderung wohlfeil. Im Bereich Pflege sieht Bettermann ein vielschichtigeres Problem als Bock: Trotz angemessener Bezahlung seien die Arbeitsbedingungen nicht attraktiv genug, um Neueinsteiger zu locken. Er forderte eine Image-Kampagne für Gesundheitsberufe.
Grüne: Mijatovic erklärte, dass jedes Jahr 400.000 Menschen das Erwerbsleben verlassen, aber nur 200.000 Menschen nachrücken. Zwar sei die Forderung nach qualifizierter Einwanderung nachvollziehbar. Jedoch müsse man aufpassen, die Herkunftsländer nicht auszubluten. Beispielsweise fehlten in Bosnien mittlerweile die Busfahrer, weil sie angesichts höherer Löhne nach Deutschland gehen.
Wie bekommt man das CO₂ wieder aus der Luft?
Runde 4: Der BUND wollte wissen, wie die Parteien das CO₂ aus der Atmosphäre wieder herausbekommen wollen und welche Pläne sie für Wiederaufforstung haben.
Linke: Bock befürwortete mehr Aufforstung. Auch wenn die Linke das Aktionsprogramm „Natürlicher Klimaschutz“ wohl nicht verantworten werde, wolle man das Anliegen unterstützen. Denn: „Klimaschutz braucht Verbündete“, wie Bock erklärte.
SPD: Es gelte, weniger zu versiegeln, so Bettermann. Mehrstöckige Gebäude seien zu bevorzugen, um Flächen nicht zu verschwenden. Hoffnung setzt Bettermann in die energetischen Quartierskonzepte. Abwärme von Rechenzentren könne zum Heizen benutzt werden, wie es der Gemeinde Niestetal vorschwebt.
Grüne: Auch Mijatovic befürwortete Aufforstung. Kassel profitiere immer noch vom documenta-Projekt 7000 Eichen. Auch urbaner Wald sei anzudenken, wo er Sinn ergibt.
FDP: Bähre brachte die technische Entnahme von CO₂ ins Spiel: Carbon Capture and Storage. Die FDP bevorzuge Technologieoffenheit. Außerdem müsse privates Kapital in klimafreundliche Technologien gelockt werden. Dass damit auch Renditeinteressen der Kapitalgeber verbunden sind, die bei öffentlich finanzierten Projekten nicht im selben Maße anfallen, erwähnte Bähre nicht. Obendrein setzt die FDP Hoffnungen auf den EU-Zertifikatehandel.
Wie wird das Heizen klimaneutral und sozial gerecht?
Runde 5: Die Scientists for Future wollten wissen, wie die Wärmeversorgung von Gebäuden klimaneutral umgestellt werden kann und gleichzeitig sozial gerecht bleibt.
SPD: Bettermann betonte, dass Wärmeabfälle, zum Beispiel aus Rechenzentren, im Sinne einer Kreislaufwirtschaft sinnvoll weitergenutzt werden sollen: zum Heizen.
Grüne: Mijatovic sagte, dass seine Partei mit dem Gebäudeenergiegesetz einen großen Stein ins Rollen gebracht habe. Zuerst habe jedoch die Akzeptanz gefehlt. Es sei wichtig, die Leute auf dem Weg der Wärmewende mitzunehmen.
FDP: Das Gebäudeenergiegesetz hat laut Bähre großen Schaden angerichtet. Man müsse sehr vorsichtig sein, womit man an die Öffentlichkeit geht.
Linke: Bock, die Geschäftsführerin des Mieterbunds in Kassel ist, bekräftigte, dass die Energiekosten nicht ins Unermessliche steigen dürfen. Man setze sich als Linke für die Mieter ein, damit auch deren zweite Miete, also die Neben- und Heizkosten, nicht weiter steigen.
Wie bekommt die Industrie sauberen und günstigen Strom?
Runde 6: Die Wirtschaftsjunioren wollten wissen, wie sich die Energiekosten für die Industrie senken lassen, ohne an Nachhaltigkeit einzubüßen.
Grüne: In Duisburg habe man erreicht, dass die Stahlproduktion auf Wasserstoff umgestellt wird. Es sei klar, so Mijatovic, dass es für die Transformation der gesamten Wirtschaft großer Anstrengungen bedürfe.
FDP: Auch der FDP schwebe eine klimaneutrale Industrienation Deutschland vor, so Bähre. Erst einmal will die FDP die Stromsteuer auf europäisches Niveau senken.
Linke: Bock betonte, dass die Linke die Energiepreise sozial staffeln möchte. Gleichzeitig setze man sich für eine Übergewinnsteuer ein, denn seit Beginn des Ukraine-Kriegs seien auch die Gewinne der Energiekonzerne überproportional gestiegen. Subventionen will die Linke nur geben, wenn im Gegenzug Mitbestimmung kommt.
SPD: Bettermann plädierte für Investitionsanreize. Es brauche Stromspeicher und man müsse weiter in den Netzausbau investieren. Auch Steuerabschreibungen für Unternehmen, die klimafreundlich investieren, seien denkbar.
Welche Partei macht den ÖPNV kostenlos?
Runde 7: Fridays for Future wollten wissen, welche Parteien sich für einen kostenlosen ÖPNV einsetzen.
FDP: Bähre sagte, dass der Preis fürs Deutschlandticket so bleiben kann, also bei 58 Euro monatlich. Um die Attraktivität des ÖPNV zu steigern, sei dessen Ausbau wichtig.
Linke: Die Linke sei für die Wiedereinführung des 9-Euro-Tickets, so Bock. Perspektivisch will die Linke ein 0-Euro-Ticket. Zur Finanzierung schlägt die Linke eine Milliardärssteuer vor und will die Schuldenbremse abschaffen.
SPD: Bettermann erklärte, dass schon heute der ÖPNV ein Zuschussgeschäft ist. Trotzdem führen die NVV-Busse im Landkreis Kassel oft leer durch die Gegend. Bettermann sagte, er sei für einen kostenlosen Nahverkehr für junge Leute, aber der ÖPNV müsse dann auch genutzt werden.
Grüne: Man sei sehr froh um das Deutschlandticket, sagte Mijatovic. Jedoch würde er sich wünschen, dass es wieder günstiger wird. Gleichzeitig müsse der Komfort steigen, indem der ÖPNV ausgebaut wird.
Wann soll Deutschland klimaneutral werden?
Runde 8: Der BUND wollte wissen, für welches Jahr die Parteien Klimaneutralität anstreben. Die Stadt Kassel will 2030 klimaneutral sein. Bislang hat sich Deutschland im Klimaschutzgesetz das Jahr 2045 als Ziel gesetzt.
Linke: Laut dem Wahlprogramm will die Linke Deutschland bis 2040 klimaneutral machen.
Grüne: Die Grünen wollen laut Wahlprogramm, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral wird.
FDP: Die FDP will laut Wahlprogramm, dass Deutschland bis 2050 klimaneutral wird, im Einklang mit den europäischen Regelungen.
SPD: Auch die SPD will, wie die FDP, dass Deutschland im Einklang mit dem Green New Deal der EU ab 2050 Klimaneutralität erreicht.
Wie soll das alles bezahlt werden?
Runde 9: Die Wirtschaftsjunioren wollten wissen, wie die Maßnahmen zum Klimaschutz finanziert werden sollen. Soll dafür die Schuldenbremse reformiert oder sogar abgeschafft werden?
SPD: Bettermann plädierte für eine maßvolle Reform der Schuldenbremse. Besonders die kommunale Ebene ächze und der Bund müsse Investitionen ermöglichen.
Grüne: Die Grünen wollen laut Mijatovic ebenfalls die Schuldenbremse reformieren.
FDP: Laut Bähre will die FDP privates Kapital zur Finanzierung der Maßnahmen nutzen. Die Schuldenbremse wolle die FDP beibehalten.
Linke: Die Linke will laut Bock die Schuldenbremse komplett abschaffen, da sie eine Investitionsbremse sei. Stattdessen will die Linke eine Goldene Regel an die Stelle der Schuldenbremse stellen.
Und was ist mit der AfD?
Runde 10: Andreas Ernst stellte zum Schluss die Frage nach dem Elefanten im Raum: der AfD. Wie gehen die anderen Parteien mit ihr um?
Grüne: Mijatovic hat laut eigener Aussage das Prüfverfahren zum Verbot der AfD unterzeichnet.
FDP: Bähre stellte fest, dass die AfD auch in seiner Generation polarisiert. Sie hege ein Weltbild geprägt von Hass und Hetze und richte sich gegen die europäische und transatlantische Prägung der BRD. Zwischenrufer kritisierten lautstark, dass FDP-Abgeordnete im Bundestag mit der AfD für einen Unions-Antrag gestimmt haben.
Linke: Man werde AfD-Themen nicht übernehmen, stellte Bock klar. Jedoch sei die AfD nicht von irgendwoher entstanden, sondern die etablierte Politik habe ihr einen Nährboden bereitet. Die Linke distanziere sich daher von Verschärfungen des Asylrechts, die laut Bock nichts anderes sind als Rassismus. Stattdessen wolle man den Widerstand im Parlament und in der Gesellschaft gegen die AfD mitorganisieren.
SPD: Bettermann sagte, es sei richtig, sich für ein AfD-Verbotsverfahren einzusetzen. Bei Umfrageergebnissen von 20 Prozent sei klar, dass nicht alle AfD-Wähler Rechtsextremisten sind. Viele seien jedoch unzufrieden. Dabei könne die „Alternative für Deutschland“ jedoch nicht für sich beanspruchen, die einzige Alternative im Parteiensystem zu sein.