
Die Kasseler Linke sorgt sich um ihre Zukunft, denn AfD und BSW knabbern an den kostbaren Prozentpunkten – auch und besonders in den sozioökonomisch benachteiligen Stadtteilen. Zwar steht die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 vor der Tür, doch die Linken wappnen sich auch schon für die Kommunalwahl 2026.
Sozialer, ökologischer und gerechter will die Linksfraktion die Stadt Kassel machen. Um bereits heute Strategien für den Wahlkampf zur Kommunalwahl 2026 zu sammeln, lud sie Gleichgesinnte und interessierte Bürgerinnen und Bürger am Freitag, 22. November 2024, ab 17.30 Uhr zu einem kommunalpolitischen Forum ins Philipp-Scheidemann-Haus.
Fast bis auf den letzten Platz ist der Raum 107 gefüllt, den die Fraktion gebucht hat. Es gibt Pizza aus dem Karton und Getränke aus der Flasche, aber viel wichtiger ist der Inhalt der Partei für den Kommunalwahlkampf 2026, auch wenn der noch in der Ferne liegt und zunächst ein Bundestagswahlkampf ansteht.
Myriam Kaskel schwört die Parteimitglieder auf einen harten Wahlkampf ein. Es gehe um die Zukunft der Partei, sagt sie eindrücklich. Bei der letzten Kommunalwahl 2021 habe es noch für 10,56 Prozent gereicht, deutlich vor AfD (6,77 Prozent) und FDP (5,32 Prozent). Nun sei zu befürchten, dass besonders das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) im Linken-Revier wildert.
Mittel gegen Abwärtstrend gesucht
Bei der diesjährigen Europawahl landete das BSW in Kassel aus dem Stand, trotz fehlender Parteibasis, bei 5,8 Prozent. Die Linke erreichte 6,05 Prozent – bei der Europawahl 2019 waren es noch 8,04 Prozent gewesen. Damit sich der Abwärtstrend nicht auch bei der Kommunalwahl wiederholt, brauche es jeden und jede. Gerade in den sozioökonomisch schwächer gestellten Stadtteilen im Kasseler Osten und Norden bröckele jedoch das Vertrauen der Wähler in die Linke, aber auch in andere linke Parteien, wie SPD und Grüne. Stattdessen wenden sich die Wähler BSW und AfD zu, wie Kaskel erklärt.
Beim kommunalpolitischen Forum geht es darum, Strategien zu entwickeln und Ideen auszutauschen, um die Abwärtsspirale zu stoppen. Es soll sich herausbilden, womit die Linke die Wählerinnen und Wähler überzeugen kann. Zunächst stellen sich die Stadtverordneten vor, darunter Violetta Bock, Stephanie Schury, Ali Timtik sowie Lutz Getzschmann. Verhindert sind Sabine Leidig, Jenny Schirmer und Soumya Belabed. Auch die ehrenamtlichen Ratsmitglieder Kai Boeddinghaus und Ingrid Häußer-Domes erzählen, wer sie sind und was ihre High- und Lowlights waren, wie Violetta Bock es formuliert. Gerade von den Tiefpunkten gebe es viele, sind sich die meisten einig.
Violetta Bock, die für Umwelt und Stadtentwicklung zuständig ist, betont, dass die Kasseler Linke auszeichnet, für diejenigen da zu sein, die sonst nicht gehört würden. „Das unterscheidet uns von den anderen Parteien.“ Kai Boeddinghaus nennt als einen Höhepunkt seiner politischen Laufbahn, die Schließung der Bäder verhindert zu haben, wenngleich das Hallenbad Ost in Bettenhausen davon ausgenommen sei. Ali Timtik erklärt, dass er als Ortsvorsteher der Nordstadt für die Menschen da sein möchte, die kein Wahlrecht haben. „Das sind hier über 40 Prozent.“
Wofür soll sich die Linke starkmachen?
Anschließend stimmen Bock, Boeddinghaus und Getzschmann die Gäste auf die Diskussion ein. Kleingruppen sollen zu unterschiedlichen Politikfeldern Forderungen erarbeiten: Wie sieht die Situation heute aus? Wie sollte sie aussehen? Und wie kann man das umsetzen?
Bei ihren Diskussionen stellen die Teilnehmer unter anderem folgende Forderungen auf:
- Soziales: Erzieher-Auszubildende sollen ein Gehalt bekommen. Es soll Menschen geholfen werden, denen es schwerfällt, die Formulare fürs Bürgergeld auszufüllen. Bildungsgerechtigkeit müsse sich auch sozialräumlich darstellen. Im Kasseler Osten soll es eine neue Schule geben, wie es mittlerweile auch die SPD-Fraktion fordert, obwohl sie mitverantwortlich dafür war, dass die Eichendorff-Schule geschlossen und schließlich abgerissen wurde.
- Arbeit: Die Teilnehmer stellen fest, dass es eine Schere in der Kasseler Stadtgesellschaft bei den Arbeitsverhältnissen gibt. So gebe es zwar auch sehr gute Jobs, aber auch sehr viele sehr schlechte. Diese Aufspaltung in gute und schlechte Jobs zeige sich auch innerhalb von Betrieben. Die Stadtteile können sich laut den Teilnehmern ebenfalls in solche mit Arbeitnehmern in guten Arbeitsverhältnissen und solchen in schlechten aufteilen. Denkbar sei eine Beratung zu prekärer Arbeit, so wie die Kasseler Linke bereits eine Sozialberatung anbietet.
- Wohnen: Schwierigkeiten im Bereich Wohnen seien kein individuelles Problem. Es gebe zu wenig Wohnheimplätze für Studierende. Außerdem seien viele Wohnungen in einem schlechten Zustand und bei Sanierungen müssten Mieter dafür aufkommen. Es soll einen besseren Zugang zum Wohnungsmarkt geben, sodass niemand wegen Herkunft, Aussehen, Geld usw. benachteiligt wird. Der Leerstand soll besser genutzt werden. Auch soll geprüft werden, wie mittels Tausch Wohnungen umverteilt werden können, sodass beispielsweise eine Familie eine große und Witwen eine kleine Wohnung beziehen können, die jeweils ihren Anforderungen entsprechen. Zudem soll der Mietendeckel für Kassel durchgesetzt werden. Die Teilnehmer fordern, mehr Wohnungen in öffentlicher Hand zu halten.
- Kultur und Jugend: Kultur soll für alle zugänglich sein, unabhängig vom Geldbeutel, Stadtteil und Herkunft. Es sollen Räume da sein, zum Beispiel Ateliers, um sich künstlerisch und musikalisch auszudrücken. Ferienspiele und Musikunterricht sollen kostenlos sein. Auch der Besuch im Schwimmbad soll für Kinder und Jugendliche nichts kosten, wie bereits während der Corona-Zeit.
- Demokratie: Ali Timtik betont, dass es nicht möglich ist, Integration zu fordern und gleichzeitig Teilhabe zu verhindern. Es sei unfair, dass EU-Bürger bereits nach drei Monaten Aufenthalt in Kassel wählen dürfen, während die Gastarbeiter-Generation bis heute auf das Wahlrecht wartet.
- Verkehr: Der Radverkehr soll gestärkt werden. Die Linke will sich weiter für eine Straßenbahn nach Harleshausen starkmachen. Die öffentlichen Verkehrsmittel sollen insgesamt ausgebaut werden. Es soll im gesamten Stadtgebiet Tempo 30 gelten. Der Airport Kassel-Calden soll geschlossen werden.
- Umwelt und Klima: In einem ersten Schritt sollen die Tempo-30-Zonen ausgebaut werden. Neuversiegelung durch zusätzliche Bebauung in den Randgebieten soll verhindert werden. In der Innenstadt soll eine Sondernutzungszone eingerichtet werden, wo der private Autoverkehr untersagt wäre. Das Schulessen soll Bio und aus der Region sein. Der Feinstaub soll reduziert werden. Das könne jedoch nur gelingen, wenn die Messgeräte nicht nur an zwei Standorten aufgestellt werden, sondern auch etwa an viel befahrenen Ausfallstraßen wie der Wolfhager und Holländischen Straße. Die Linke beharrt auf der städtischen Klimaneutralität bis zum Jahr 2030, ebenso auf dem Kohleausstieg. Es soll mehr getan werden, damit auf Dächern von gewerblichen Immobilien, beispielsweise im Industriepark Mittelfeld in Rothenditmold und im Industriegebiet Waldau, Solaranlagen gebaut werden. Es sollen Kantinen in Bürgerhäusern eingerichtet werden.
Vorbild könnten Grazer Linke sein
Anschließend diskutieren die Anwesenden über die vielen Vorschläge. „Es gibt keinen Grund zur Langeweile“, resümiert Violetta Bock. Es gelte jedoch nun, die vielen Vorschläge zusammenzuführen und eine gute Kampagne zu starten.
Als einen möglichen Schwerpunkt ihrer Kampagne identifizieren die Teilnehmer das Thema Wohnen. Im österreichischen Graz sei diese Strategie geglückt, merkt ein Teilnehmer an. Seit 2021 regiert dort die kommunistische Partei (KPÖ) zusammen mit den Grünen und der SPÖ. Was die Linken in Kassel sich bei ihren Grazer Kolleginnen und Kollegen abschauen können, lässt sich in deren Programm zur Gemeinderatswahl 2021 begutachten.