
Beim Hessischen Jungjournalistentag gab Gabriela Keller von Correctiv Einblick in ihren Beruf als investigative Journalistin. Trotz Hindernissen müsse der Journalismus kompromisslos bleiben und seine kritische Haltung bewahren.
Vor den circa 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmern beim Hessischen Jungjournalistentag, der am Samstag, 23. November 2024, an der Media University of Applied Sciences stattfand, versuchte sich Gabriela Keller von Correctiv zunächst in Optimismus. „Journalismus ist ein geiler Beruf“, bestätigte sie den Tenor, den Knud Zilian, Vorsitzender des DJV Hessen, zuvor in seiner Begrüßung gesetzt hatte.
Doch sie fügte in Bezug auf den Investigativjournalismus ein großes Aber hinzu: Dieser sei aufwendig, zeitraubend und mache nicht selten einsam. In vielen Redaktionen sei Recherche, obwohl sie zum journalistischen Handwerk gehört, im Grunde unbeliebt. „Das wollen nur wenige machen.“
Andere Wahrnehmung nach Smashhit
Die Wahrnehmung, was Investigativjournalismus leisten kann, habe sich jedoch durch die Remigrationsrecherche zur AfD von Correctiv Anfang 2024 in der Öffentlichkeit zum Besseren gewandelt. „Das war ein richtiger Smashhit“, sagte Keller.
Die Gefahr sei heute, dass das Publikum kaum noch zwischen wichtig/unwichtig und seriös/reißerisch unterscheiden könne. Investigativjournalismus könne sich in der aufgeregten Medienlandschaft kaum noch behaupten. Denn: „Investigativjournalismus ist eher leise und sperrig.“ Lässt sich also schlecht vermarkten.
Dabei sei er auch im Lokaljournalismus wichtiger denn je, um die Mächtigen vor Ort zu kontrollieren. Haben sie in ihren Haushalten fragwürdige Ausgaben versteckt? Nutzen Unternehmer Steuerschlupflöcher aus? Selten seien diese Recherchen Crowdpleaser.
Was ist Investigativjournalimus?
Als „Recherchieren gegen Widerstände“ definierte Correctiv-Journalistin Keller, was man sich unter Investigativjournalismus überhaupt vorstellen kann. In diesem Zusammenhang warf sie ein Zitat in den Raum, das George Orwell zugeschrieben wird, aber wohl nicht von ihm stammt: „Journalismus ist, etwas zu veröffentlichen, was andere nicht wollen, dass es veröffentlicht wird. Alles andere ist Werbung.“
Den Journalistinnen und Journalisten sei das Recht auf Recherche gesetzlich verbrieft, zum Beispiel in den Landesmediengesetzen und in den Gesetzen zur Informationsfreiheit. Schließlich sei Recherche alltäglich, auch wenn es nicht immer es um Recherche gegen Widerstände geht.
Investigativrecherche im Speziellen und Recherche überhaupt drohe jedoch verloren zu gehen. So gebe es Klagen, auch SLAPP genannt, um Recherchen im Keim zu ersticken. Eine Rechtsabteilung sei nötig, um sich gegen diese Einschüchterungen zu wehren. Das könnten sich kleine Medienhäuser und freie Journalisten aber oft nicht leisten und gäben dann klein bei.
Viel zu tun mit unangenehmen Menschen
„Im Investigativjournalismus hat man es viel zu tun mit unangenehmen Menschen“, sagte Keller. Da könne der Eindruck entstehen, man werde als Journalist bis zur Privatwohnung verfolgt und eingeschüchtert. Die Schurken wüssten aber, dass ein Anwalt wirkungsvoller ist als ein Hitman.
Grund zum Optimismus macht Keller die Potsdam-Recherche zu dem Remigrationstreffen. Hier habe Investigativjournalismus in die Gesellschaft hineingewirkt. „Journalisten wollen relevant sein“, betonte Keller. Allzu oft würden Recherchen in der allgemeinen Aufgeregtheit verpuffen. Bei der im Januar 2024 veröffentlichten Recherche sei es jedoch anders gewesen. In der Folge gab es in ganz Deutschland Massendemonstrationen, auch in Kassel.
Die Recherche habe Correctiv bereits vor der eigentlichen Veröffentlichung unter Medien gestreut, auch hätten reichweitenstarke X (vormals Twitter)-Kanäle dazu beigetragen, dass sich die Recherche in der Öffentlichkeit verbreitete. „Niemand tippt heute noch eine URL in seinen Browser und besucht gezielt eine Website“, erklärte Keller. Man müsse seine Recherche-Ergebnisse vermarkten, was in diesem Fall gelungen sei.
Gen Z will sich nicht ausbeuten lassen
Keller begrüßte, dass sich junge Journalistinnen und Journalisten aus der Generation Z, die zwischen 1995 und 2010 Geborenen, nicht mehr ausbeuten lassen wollen. „Vernünftige Arbeitsbedingungen gehören einfach dazu.“ Der Job, obwohl wochenlange Recherchen dazugehörten, sollte einen nicht ausbrennen lassen. Wenn die Bedingungen stimmen, könnten auch Frauen vermehrt für den Investigativjournalismus begeistert werden.
Wichtig war Keller auch zu betonen, dass Journalismus als Journalismus erkennbar bleiben muss. „Wir produzieren keinen Content, sondern Journalismus“, stellte sie klar. PR und Journalismus seien eben nicht dasselbe, sondern das genaue Gegenteil voneinander.
Sie kritisierte, dass auch aus der Nähe des Politikjournalismus zu den Gegenständen der Berichterstattung Probleme erwachsen könnten. In Großbritannien werde dieses Phänomen als Lapdog statt Watchdog beschrieben. Zwar seien Seitenwechsel zwischen Journalismus und PR heute keine Seltenheit mehr, auch aufgrund der besseren Bezahlung. „Das Hin und Her stellt aber eine falsche Nähe her“, so Keller. Für sie gelte: „Wir müssen kompromisslos mit einer kritischen Haltung bleiben.“ Die einzige Zielgruppe für sie: die Demokratie.
Wie sich Correctiv finanziert
In der anschließenden Diskussion stellte ein Jungjournalist die Frage nach der Finanzierung von Correctiv. Laut Gabriele Keller hat das Recherchenetzwerk drei Arten von Einkünften:
- Gemeinnützigen Journalismus: Dieser werde durch Stiftungen finanziert und durch Einzelspenden von Privatpersonen. Mittlerweile würden die Privatspenden überwiegen, was erfreulich sei, da es hier keine Förderperioden gibt und die Einnahmen somit zuverlässiger sind.
- Wirtschaftliche Einnahmen: Correctiv macht bezahlte Faktenchecks für den Facebook-Konzern Meta, um als Fake News gekennzeichnete Informationen zu überprüfen, sodass die Plattformen sie entfernen können.
- Geld von Regierungsstellen: Öffentliche Fördermittel benutzt Correctiv, um das Bildungsangebot Reporterfabrik und das Medienpädagogik-Angebot für junge Menschen, Salon 5, zu finanzieren.
Reaktion auf Kritik an Potsdam-Recherche
Auch wurde Keller konfrontiert mit dem Vorwurf, dass sich Correctiv angreifbar gemacht habe, weil im Kontext der Potsdam-Recherche in einer Verlags-Veröffentlichung von „Deportation“ die Rede war. Keller erklärte, dass tatsächlich in einer Information des Verlags von Deportation die Rede war, die jedoch nicht mit der Redaktion abgesprochen war. Man habe sich in Gegenteil sogar genau überlegt, welche Worte man wählt, um das Treffen einzuordnen.
Jedoch werde bereits der Begriff Remigration im Grunde missbräuchlich benutzt. Eigentlich sollte er beschreiben, dass jüdische Menschen nach der Flucht vor der Shoah wieder zurück nach Deutschland kommen. In rechten Kreisen sei dieser Begriff dann umgedeutet worden als euphemistische Beschreibung für Vertreibung.
Keller machte auch darauf aufmerksam, dass deportation im Englischen der Begriff für Abschiebung ist. Manche deutsche Medien hätten in der Folge der Recherche bei englischsprachigen Medien abgeschrieben und den Begriff nicht kontextualisiert.