
Die „Letzte Generation“ macht Schlagzeilen – und spaltet. Ich finde die Aktionen nicht verwerflich, tue mich aber auch schwer zu applaudieren.
Ich bewundere Stefan Schulz. Ich bin durch Twitter auf ihn gestoßen, höre regelmäßig seinen epochalen Podcast „Neue Zwanziger“ mit Wolfgang M. Schmitt und habe mir – davon inspiriert – auch sein neues Buch gekauft und gelesen. Ich halte ihn für vernünftig und clever.
In einem neuen Video bespricht er den Auftritt von Carla Hinrichs, der 25 Jahre alten Sprecherin der „Letzten Generation“, bei Anne Will am 20. November 2022.
Letzte Generation: Das sind keine Spinner
Ich finde Hinrichs’ Auftritt ebenfalls außerordentlich stark. Sie ist eine rhetorisch starke Sprecherin. Jedem müsste durch ihren Auftritt klargeworden sein, wofür die „Letzte Generation“ steht – und dass das keine Spinner sind.
Dessen war ich mir freilich schon vorher bewusst. Der Klimawandel ist ohne Zweifel die größte Bedrohung der Zivilisation. Dabei ist schon heute klar, dass wir, als Deutsche, nicht die krassesten Folgen erdulden werden müssen. Am Ende können wir uns mit unserer wirtschaftlichen Macht wohl vor den verheerendsten Folgen retten. Andere sterben qualvoll und das nehmen wir bewusst in Kauf.
Dennoch bin ich kein Fan der Aktionen der „Letzten Generation“. Ich finde die Aktionen dabei nicht mal verwerflich. Schließlich haben sie etwas erreicht: Man spricht über sie. Nun werfen ihr einige vor, sie lenken die Aufmerksamkeit auf sich und nicht auf das Thema Klimagerechtigkeit. Das halte ich wiederum für ein Ablenkungsmanöver. Die Leute, die so argumentieren, haben selbst bislang nichts unternommen, um in Sachen Klimaschutz und Klimagerechtigkeit Fortschritte zu bewirken.
Auch die Letzte Generation stellt sich nicht zur Wahl
Meine Kritik ist eine andere. Ich habe sie in ähnlicher Form bereits an anderer Stelle formuliert. Das war vor der letzten Bundestagswahl. Ich monierte, dass sich die jungen Klimaaktivisten von „Fridays for Future“ nicht wählbar machten.
Sie verharrten in einem machtlosen Vakuum. Ähnlich verhält es sich jetzt mit der „Letzten Generation“. Bloß sind sie in einer noch prekäreren Situation. Die nächste Bundestagswahl ist voraussichtlich erst 2025. Bis dahin müsste bereits vieles entschieden sein, um dem Klimawandel Einhalt zu gebieten.
Daher ist es verständlich, dass sie radikale Formen des Protests wählen. Bloß repräsentieren sie damit nicht die träge Volksseele. Ketchup und Kartoffelbrei an Alten Meistern mögen starke Zeichen sein, aber am Ende zeugt das nur von Verzweiflung und sieht nicht nach einem Plan aus, den man umsetzen kann.
„Haben Sie einen besseren Plan?“
„Haben Sie einen besseren Plan?“, fragt Carla Hinrichs Anne Will in deren Talkshow. Das ist eine berechtigte Frage.
Jedoch ist das, was dort derzeit von den Aktivisten aufgeführt wird, ja alles andere als ein Plan. Es muss was passieren, aber was? Wenn die Schritte gangbar wären und man die Bürger auf seine Seite schlagen könnte – mit Argumenten, nicht mit klebrigen Soßen – dann wäre vieles gewonnen.
Mir scheint es hingegen, als gäbe es bislang nur eine Diagnose und immer noch widerstreitende Interessen, was nun zu tun ist. FDP, CDU und AfD würden am liebsten alles so lassen, wie es ist. Zumindest soll die Wirtschaft keinen Schaden nehmen, wenn wir umweltfreundlicher werden. Aber einen konkreten Plan, wie das 1,5 Grad Ziel noch erreicht werden kann, haben auch SPD und Grüne nicht, die gemeinhin als progressiv gelten.
Machtlosigkeit statt Plan bei der Letzten Generation
Ich nehme nur Absichten wahr, die diejenigen beschwichtigen sollen, die sich Sorgen machen um den Planeten und um die Enkel. Doch die Rente und der Industriestandort Deutschland dürfen natürlich auch für die Genoss*innen nicht angetastet werden. Man darf ja Ökologie nicht gegen Soziales ausspielen.
Auch ich vermag nicht zu beantworten, was getan werden muss. Es ist eine Aushandlung, bei der die besseren Argumente zählen sollten. Solange jedoch die Protagonisten der „Letzten Generation“ lieber sitzend und klebend auf Kreuzungen verweilen, anstatt die parlamentarische Diskussion mitanzuführen, wird sich in unserer repräsentativen Demokratie nichts zugunsten der Klimagerechtigkeit tun.
Es sorgt vielmehr für Frust, dass die berechtigten Anliegen einer im eigenen Verständnis letzten handlungsfähigen Generation nicht in den demokratischen Willensbildungsprozess miteinfließen.
Machtlosigkeit – ob als Aktivist oder Journalist – fühlt sich grausam an. Zusehen zu müssen, wie die Welt zugrunde geht. Aus dieser Sicht hat die „Letzte Generation“ trotz meiner Kritik etwas erreicht: Sie sehen nicht zu, sie tun etwas. Auch wenn es hilflos ist und nicht zielgerichtet.
Ziel müsste sein, einen Plan zu entwickeln, Mehrheiten zu gewinnen und überzeugend zu sein. Mich überzeugen Klebemanöver und Ketchup-Attacken nicht sonderlich. Sie ringen mir Respekt ab, als jemandem, der nur vor seinem MacBook sitzt, in die Tasten haut und selbst noch viel weniger anregt, als es die „Letzte Generation“ bereits erreicht hat. Mehr aber auch nicht.