
Die junge Klimabewegung hat viel erreicht und kommt doch an ihre Grenzen. Ihr fehlt der Mut zur Macht. Was würde passieren, wenn man Greta Thunberg diese Macht gäbe?
Die Richtigkeit einer Anschauung garantiert nicht ihre Durchsetzbarkeit.
Selbst wenn die Welt das 2-Grad-Ziel verfehlt, werden dort immer noch Menschen sein – unsere Nachkommen – die entscheiden können, wie es weitergeht. Die Welt ist nicht untergegangen, mitunter sind jedoch Millionen von Menschen emigriert oder im schlimmsten Fall qualvoll an Dürre oder Überschwemmungen verendet.
All das rechtfertigt dennoch keine Ökodiktatur. Glücklicherweise sind wir davon weit entfernt. Dennoch können wir unsere Vorstellungskraft bemühen: Wie sähe die Welt mit Greta Thunberg an der Spitze aus, ausgestattet mit allen Vollmachten?
Greta Thunberg: Sollten wir nicht besser der Demokratie vertrauen?
Wäre dies eine bessere Welt? Könnten wir der 17-jährigen* Greta Thunberg unser Schicksal überlassen oder sollten wir nicht besser der Demokratie vertrauen, so schlecht sie auch sein mag?
Greta Thunberg würde den Flugverkehr einschränken, Kreuzfahrten verbieten. Der Tourismus würde leiden. Fahrradwege würden ausgebaut, die Schnellstraßen verlangsamt. Der Güterverkehr würde der elektrifizierten Schiene überlassen. Alles würde langsamer vonstatten gehen.
Kohlekraftwerke würden abgeschaltet. Die Zukunft gehörte dem Wind und der Sonne, ergänzt durch Biothermie und Wasserkraft. Kernenergie wäre passé.
Sind unsere Vorstellungen nicht genauso individuell wie die von Greta Thunberg?
Im Supermarkt gäbe es keine Einwegverpackungen mehr. Die Lebensmittelampel würde gesunde Lebensmittel kennzeichnen. Tiere erhielten weitreichende Rechte, auch wenn sie einzig für den Verzehr geboren wären. Recycling würde gefördert werden. Es ginge gesünder und nachhaltiger zu.
Es gäbe ein Recht auf Reparatur. Technik würde weiterhin altern, aber bliebe benutzbar. Tintenstrahldrucker funktionierten auch nach Jahrzehnten noch. Updates würden zum Anrecht.
Menschen würden ihre Arbeit verlieren und andere gewinnen. Jeder würde mitgenommen, für die Umsteiger gäbe es Anreize und Förderung.
Jeder – auch Greta Thunberg – stellt sich die klimaneutrale Zukunft anders vor
Aber Stopp! Hier spreche ich – für Greta Thunberg. Sie hat sicherlich andere Vorstellungen. Und jeder stellt sich anders vor, was für ihn oder sie eine gerechte und zukunftsfähige Version des noch Kommenden ausmacht.
Selbst innerhalb der Klimawissenschaft gibt es Divergenzen. Zwar sind sich die meisten Wissenschaftler einig, dass wir auf eine Katastrophe zusteuern, doch wie sie zu verhindern ist, vermögen sie nicht einheitlich zu beantworten. Die aus Experten bestehende Technokratie würde eventuell gerade die Maßnahmen durchsetzen, die uns nicht ans Ziel führen oder unserer Vorstellung von einer lebenswerten Welt zuwiderlaufen.
Daher sollten auch die jungen, wilden Klimaschutz-Streiter sich zur Wahl stellen. Denn auch sie sind sich nicht einig. Sie eint einzig ihre Verzweiflung und ihre Wut auf die alte Kohle-Welt. Auf die scheinbare Ignoranz der Alten, die den Planeten dem Wirtschaftswachstum opfern. Doch selbst die sind sich ja nicht einig. Will man den Grünen etwa durchweg Ignoranz in Klimafragen vorwerfen?
Fridays for Future: Die Bewegung bleibt ohne politisches Element machtlos
Die Jungen können sich weiterhin freitags aus der Schule schleichen und ihren Unmut kundtun, doch ohne politisches Element bleiben sie machtlos – oder werden autoritär.
Es gebe nur eine veritable Sicht auf das Klimaproblem. Dies schallt mir entgegen, wenn ich die jungen Klimaprotestler bei ihren Zügen durch die Innenstadt beobachte. Doch das stimmt nicht. Solange man kein Programm aufstellt, mit dem man sich angreifbar macht, spielt man nur mit im Spiel der Machtlosen. Politik außerhalb der Parlamente ist Selbstbefriedigung.
Fridays for Future ist eine junge Bürgerbewegung, aber ohne Willen zum Selbermachen, zur Macht, wird die Bewegung verhallen. Sie würde einen Weg wie die Anti-AKW-Bewegung gehen, deren Forderungen erst mit dem Reaktorunglück von Fukushima in Erfüllungen gingen, 40 Jahre nach Aufkommen der Bewegung. Diese Zeit bleibt FFF nicht.
Eine Bewegung der Extreme: Fridays for Future könnte autoritär werden
Diese Feststellung möchte die Errungenschaften der Bewegung nicht schmälern, aber Fridays for Future bewegt sich momentan in den Extremen: Auf der einen Seite die wiederholten und vehementen Veränderungswünsche, die jedoch wirkungslos bleiben, da kein eigenes Macht-Format gefunden wurde, und andererseits die ans Technokratische erinnernde Alternativlosigkeit der Forderungen, die die Kompromissbereitschaft aller – zumeist älteren – Außenstehenden abstreitet.
Möchte die Bewegung selbst etwas verändern, darf sie nicht länger von anderen Verantwortung verlangen, die zwar älter, aber nicht unbedingt weiser sind, und selbst keine tragen. Bei einem so bedeutenden Thema wie dem Klimawandel braucht es Führungsfiguren, die das Thema wählbar machen und durchsetzen.
Ich wünsche mir mehr Mut von den jungen Leuten, für ihre Belange politisch einzutreten – selbst wenn am Ende andere Positionen gewinnen. Dieses Problem bestünde in einer Technokratie freilich nicht, aber wenn man sich nicht gegen andere Positionen durchsetzen muss, hat man schon verloren.
Dieses Essay erschien zuerst in der dritten Ausgabe des Kasseler Studenten-Magazins „Metzger*innen“ (01/2021).
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