Naomi Beckwith: Mit marktkonformer Kunst die documenta 16 zum Erfolg führen?

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Naomi Beckwith ist zur Künstlerischen Leiterin der documenta 16 berufen worden. Hier sieht man sie im Interview mit Stephan Haberzettl von ArtortTV (Foto: ArtortTV)

Naomi Beckwith ist die neue Künstlerische Leiterin der documenta. Die renommierte Kuratorin verspricht einen reibungslosen Ablauf. Inwieweit Kapitalismuskritik Platz in ihrer Konzeption hat, wird sich angesichts ihrer Stellung in der Kunstwelt noch zeigen.

Puh, da ist die Erleichterung aber groß! In der 48-jährigen Noami Beckwith, Chefkuratorin des New Yorker Guggenheim Museums, hat die documenta ihre neue Künstlerische Leiterin gefunden. Sie wird die documenta 16 verantworten, die vom 12. Juni bis 19. September 2027 in Kassel stattfindet.

Die Reaktionen aus Politik, Presse und Bevölkerung sind ausgesprochen positiv, wie unter anderem in der HNA vom Donnerstag, 19. Dezember 2024, nachlesbar ist. Es kann wohl nichts schiefgehen. Denn: Naomi Beckwith wird Rassismus, Antisemitismus und andere Formen von Diskriminierung nicht dulden, wie sie auf der Pressekonferenz ankündigte.

Dass es beim Antisemitismus-Skandal der letzten documenta nie um die Kunst ging, wird nun aber ebenso offensichtlich. Es ging um Geld und Macht. Die Stadt Kassel fürchtete um ihr Markenzeichen, die Galeristen um ihre Autorität und die Bundespolitik um ihr Ansehen. Kunst spielte eine untergeordnete Rolle.

Kunstausstellungen als Marktplätze

Selbiges lässt sich über die Biennale in Venedig und andere Kunstausstellungen von Weltrang sagen. Warum? Weil diese Ausstellungen Marktplätze sind, die nur solange funktionieren, wie die Wertbestimmer – Kuratoren, Galeristen, Auktionatoren und Presse – an einem Strang ziehen.

Das indonesische Künstlerkollektiv Ruangrupa, das die documenta 15 leitete, passte da von Anfang an nicht herein. Dass sie sich den Regeln des Kunstmarkts nicht beugen wollen, war schon bei ihrer Vorstellung 2019 deutlich geworden. Dabei waren die Hoffnungen in Kassel so wie bei jeder documenta zuvor: Künstlerinnen, deren Werke aus dem Nichts ein Vielfaches wert sind. Künstler, von denen man vorher nie gehört hat, auf einmal geschmückt mit Ruhm und bedacht mit Geld. Doch es kam anders.

Offenbar ärgerte es die hegemoniale Kunstelite, dass die Kuration eben nicht die viel gehandelten Künstler und Kollektive mit warenförmigen Werken selektierte. Dass sich ein anderes Kunstverständnis breitmachen könnte, das den Warencharakter von Kunst ablehnt. Es ist legitim zu sagen, dass der Kunstmarkt kein Interesse an einer documenta hat, die die eigenen Schützlinge nicht hofiert und aufwertet – monetär versteht sich – und stattdessen Konzeptkunst und antikapitalistische Botschaften in den Mittelpunkt der Schau stellt.

Kunstmarktkonforme Elite-Kuratorin

Zum Glück hat die documenta und Museum Fridericianum gGmbH für die kommende documenta 16 eine kunstmarktkonforme Findungskommission gefunden („sechs renommierte Experten“), die eine ebenfalls kunstmarktkonforme Elite-Kuratorin aus der Stadt des Geldes, New York, an die Spitze der weltweit bedeutendsten Ausstellung für moderne Kunst gewählt hat.

Es kann nichts schiefgehen, schließlich orientiert sich auch der umstrittene Code of Conduct an einer marktkonformen Auslegung von Kunst. Die Künstler dürfen alles machen, solange sie die documenta nicht beschädigen. Angeleinte Kunst für ein Publikum, das Handybilder von austauschbaren Kunstwerken aus Kassel um die Welt schickt.

Der Politik geht es um den Wert der Marke documenta, nicht um die Freiheit der dort gezeigten Kunst. Letztere kann gern langweilig sein. Da die Bewertung von Kunst nach allgemeinem Verständnis subjektiv ist, kann das den Politikern egal sein. Der Kurator verkommt durch ihre Vorgaben zum Algorithmus – vorprogrammiert und berechenbar.

Glatte documenta 16 ist erwartbar

Es ist zu erwarten, dass bei der documenta 16 alles glattgeht. So wie es gewollt ist. So wie es die Kassen füllt und die Weltkunstausstellung aufrechterhält. Ketzer sind nicht erwünscht. Von der charmanten Naomi Beckwith ist allzu kapitalismuskritisches Aufbegehren nicht zu erwarten. Die Spielregeln sind ihr schließlich bekannt, sie wird nicht in dieselben Fettnäpfchen wie Ruangrupa treten.

Der Antisemitismus-Skandal erscheint somit in einem anderen Licht. Es ging nur vordergründig um eine nicht tolerable Grenzüberschreitung. Hintergründig widersprach die Kuration von Ruangrupa den hegemonialen Interessen des Kunstmarkts. Das indonesische Kollektiv bot mit seiner fragwürdigen Auswahl und Kontrolle der Künstler obendrein reichlich Angriffsfläche.

Dass es aber auch einen Willen braucht, die freie Flanke zu attackieren, wird schnell vergessen. Noch vor der Eröffnung der documenta 15 war die Schau medial schon zum Scheitern verurteilt worden. Die tatsächlich, wenn auch nur im Promillebereich, angetroffenen antisemitischen Botschaften machten es den Angreifern umso leichter.

Kassel war als Standort angezählt

Kassel als Standort für die Weltkunstausstellung war angezählt. Nach dem Hinweis, den kapitalistischen Kunstmarkt nicht anzutasten, war das vielleicht die zweite Botschaft der Hegemonie: Eine 200.000-Einwohner-Stadt sollte nicht so viel Macht haben. Andere Zentren der Weltkunst hätten es mehr verdient, ihren Teil des Aufmerksamkeitskuchens abzubekommen.

Immer gilt: Eine Kunst, die sich kapitalistischen Verwertungsinteressen – an welchem Ort auch immer – beugen muss, ist nicht frei. Eine Politik, die diese kapitalistischen Verwertungsinteressen verteidigt, beschneidet die Kunst. Wie die Kunst leidet auch die Umwelt unter diesen Interessen. Sie wird beschnitten, Lebensräume werden zerstört und Ressourcen ausgebeutet. Beides – Kunst und Umwelt – sind daher angewiesen auf Kapitalismuskritik.

Bei der documenta 15 hat sich diese Kritik jedoch verrannt. Antisemitismus hat – wie alle menschenfeindlichen Botschaften – nichts auf einer Kunstausstellung verloren. Aufgabe der documenta 16 sollte es sein, die pure Anprangerung von Missständen weiterzuentwickeln. Wie sehen Lösungen aus, auf die nur Künstler kommen können? Dazu passt, dass Naomi Beckwith bei ihrer Vorstellung sagte, dass Künstler Meister darin seien, zu improvisieren und Neues zu schaffen. Sie seien fähig, Wege aus den multiplen Krisen, die uns heute beschäftigen, aufzuzeigen.

Chance für die documenta

Dass mit Naomi Beckwith nun eine renommierte Vertreterin der Kunstelite die documenta leitet, ist ohne Zweifel ein Erfolg für die Verantwortlichen. Die Marke documenta wird wohl wieder strahlen, der Antisemitismus-Skandal in Vergessenheit geraten. Kassel wird dadurch als Austragungsort der Weltkunstausstellung sein Renommee gegenüber anderen Kunstzentren auf der Welt verteidigen.

Was die zu erwartende hegemoniale Kuration für die Kunst bedeutet, bleibt abzuwarten. Vielleicht gelingt es Naomi Beckwith, beide Seiten – marktkompatible Kunst und Kapitalismuskritik – zu vereinen. Dass dies wahrlich nur schwer möglich ist, wusste aber schon Theodor W. Adorno: „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.“

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