Die Wahl der neuen Künstlerischen Leiterin Naomi Beckwith (48) verspricht Ruhe nach der langanhaltenden Debatte über Antisemitismus auf der vergangenen documenta 15.
Kassel – Nach der skandalumwobenen documenta 15 hat die Findungskommission die neue Künstlerische Leitung für die documenta 16 ausgewählt: Die Wahl fiel auf die 48-jährige Noami Beckwith, die sogleich vom Aufsichtsrat berufen wurde. Andreas Hoffmannn, Geschäftsführer der documenta und Museum Fridericianum gGmbH, verkündete die mit Spannung erwartete Wahl am Mittwoch, 18. Dezember 2024, bei einer Pressekonferenz im Kasseler Veranstaltungsort UK14. Auch der Termin der documenta 16 steht fest: Sie findet vom 12. Juni bis 19. September 2027 in Kassel statt.
Naomi Beckwith ist laut Mitteilung der documenta und Museum Fridericianum gGmbH stellvertretende Direktorin und Jennifer & David Stockman-Chefkuratorin am Solomon R. Guggenheim Museum and Foundation in New York. Dort betreut sie Sammlungen, Ausstellungen, Publikationen, kuratorische Programme und Archive und verantwortet die strategische Ausrichtung innerhalb des internationalen Netzwerks der angegliederten Museen.
Zuvor hatte sie kuratorische Positionen am MCA Chicago und am Studio Museum in Harlem inne.
Beckwith verantwortlich für preisgekrönte Ausstellungen
Als Absolventin des Courtauld Institute of Art hat Beckwith renommierte Ausstellungen und monografische Projekte (mit)organisiert, darunter die preisgekrönte Ausstellung Howardena Pindell: What Remains to Be Seen (2018, MCA Chicago, USA) und The Freedom Principle: Experiments in Art and Music, 1965 to Now(2015, MCA Chicago, USA). Sie war Mitglied des Kurator*innenteams zur Realisierung der von Okwui Enwezor vor seinem Tod konzipierten Ausstellung Grief and Grievance: Art and Mourning in America (2021, The New Museum, New York). Ihre Ausstellungen, Vorträge und Publikationen beschäftigen sich mit der Wirkung und Resonanz Schwarzer Kultur auf multidisziplinäre Praktiken in der globalen zeitgenössischen Kunst.
Als Wissenschaftlerin und Kunsthistorikerin war Beckwith Gastprofessorin an der Northwestern University und der School of the Art Institute of Chicago (beide Chicago, USA). Sie erhielt Stipendien für das Independent Study Program des Whitney Museum of American Art (New York) und das Institute of Contemporary Art in Philadelphia (USA). Beckwith wurde vom High Museum of Art in Atlanta (USA) mit dem David-C.-Driskell-Preis für afroamerikanische Kunst und Kunstgeschichte 2024 ausgezeichnet. Derzeit leitet sie außerdem das Kuratorenteam des Palais de Tokyo in Paris für die Herbstausstellungen 2025, die als „American Season“ bekannt sind.
Beckwith überwältigt von außerordentlicher Ehre
„Es ist eine außerordentliche Ehre, zur Künstlerischen Leitung der documenta 16 gewählt zu werden“, sagte Naomi Beckwith anlässlich ihrer Ernennung. Die documenta sei eine Institution, die der ganzen Welt und genauso auch Kassel gehört. Sie sei auch eine Institution, die sich im ständigen Dialog mit der Geschichte befindet und gleichzeitig ein Barometer für Kunst und Kultur in der unmittelbaren Gegenwart ist. „Ich bin voller Demut angesichts der Tragweite dieser Verantwortung und freue mich gleichermaßen darauf, meine Forschungsergebnisse und Ideen mit dieser geschichtsträchtigen und großzügigen Institution zu teilen“, so Beckwith.
Im Namen der sechsköpfigen Findungskommission begründeten Yilmaz Dziewior, Direktor des Museum Ludwig in Köln, und Mami Kataoka, Direktorin des Mori Art Museum in Tokyo, die Wahl wie folgt: „Es war nicht einfach, eine Entscheidung zu treffen. Unsere Diskussionen spiegelten die Komplexität und Verflechtung der aktuellen Situation der documenta wider. Wir sind von Naomi Beckwiths Expertise und internationaler kuratorischer Erfahrung überzeugt.“
Politische Zuversicht wegen Neuausrichtung der documenta
Auch aus der Politik kamen zuversichtliche Töne. „Wir haben in den vergangenen Monaten zielbewusst an der Neuausrichtung der Organisation documenta gearbeitet und viele gute Grundlagen geschaffen“, erklärte Kassels Oberbürgermeister Sven Schoeller als Aufsichtsratsvorsitzender der documenta und Museum Fridericianum gGmbH.
Der Hessische Staatsminister für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur Timon Gremmels betonte: „Mit dem heutigen Tag können wir die Neuaufstellung der documenta erfolgreich abschließen.“ Die Verantwortlichen konnten laut dem Minister eine hochkarätig besetzte Findungskommission gewinnen, die sich für eine exzellente Künstlerische Leitung entschieden hat. Offenheit, Gemeinsinn und die verbindende Kraft der Kunst prägten bereits die Arbeit der Findungskommission und bilden laut Gremmels auch die Grundlage von Naomi Beckwiths Praxis.
Minister sieht gutes Fundament durch Reform der documenta
Gremmels zufolge haben Stadt und Land mit der umgesetzten Reform der documenta ein gutes Fundament für die Zukunft der Weltkunstschau gelegt. „Wir haben einen guten Weg gefunden, wie Kunst- und Diskursfreiheit mit dem Schutz vor Antisemitismus und Diskriminierung einhergehen können.“
Geschäftsführer Andreas Hoffmann bedankt esich für den großen Einsatz aller Mitglieder der internationalen Findungskommission: „Mit Ihrem Engagement hat die Findungskommission ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein für die zeitgenössische Kunst und die documenta in dieser ganz besonderen Zeit bewiesen.“
Die Findungskommission der documenta 16 setzt sich aus folgenden Mitgliedern zusammen:
- Yilmaz Dziewior, Direktor des Museum Ludwig in Köln
- Sergio Edelsztein, freier Kurator, Berlin und Tel Aviv
- N’Goné Fall, unabhängige Kuratorin und Expertin für Kulturpolitik, Paris/Dakar
- Gridthiya Gaweewong, künstlerische Leiterin des Jim Thompson Art Center, Bangkok
- Mami Kataoka, Direktorin des Mori Art Museum, Tokyo
- Yasmil Raymond, freie Kuratorin, Frankfurt am Main
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