Mein documenta-Fazit: besonders beliebig

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documenta-Halle am Friedrichsplatz in Kassel eingefangen mit Zoomeffekt.
Kein klares Bild ergibt sich für mich nach 100 Tagen documenta. (Foto: Paul Bröker)

100 Tage sind vergangen. Die documenta ist zu Ende. Ich habe mir meine Meinung gebildet – und bin etwas ratlos und enttäuscht, was nichts mit dem Skandal zu tun hat.

Die Gier nach dem Besonderen zeichne unsere Zeit aus, sagt im übertragenen Sinn der deutsche Soziologe Andreas Reckwitz („Die Gesellschaft der Singularitäten“). Mir ist die documenta ganz besonders vorgekommen – in ihrer Beliebigkeit.

Jede Weltregion durfte ihre Besonderheiten zur Schau stellen, sodass alles in einer banalen Soße verläuft. Das Besondere schrie um Aufmerksamkeit, doch die Stimmen wurden zu einer Kakofonie, die nichts mehr aussagt.

Die Weltkunstausstellung vermochte nichts Allgemeines mehr auszusagen. Was ist der Mensch? Ist die einzige Aussage, dass alles scheiße ist – überall auf der Welt? Dass der Struggle real ist, genauso wie er das überall ist?

Mir fehlte der Aufbruch, die eigenartige Kunst. Aber anscheinend sind wir durch das Internet bereits so angeglichen, dass auch am letzten Zipfel der Zivilisation bestimmte Standards gelten, die es zu erreichen gilt. Oder an deren Erreichung man scheitert. Der Versuch ist in diesem Kunstverständnis sowieso mehr wert als das Werk.

Die documenta enttäuschte, weil sie nicht überraschte. Oft zeigte sie so plakativ auf Unrecht, dass ich nur mit den Schultern zucken konnte: „Das wusste ich doch schon.“

Was zeigte sie mir dann? Dass es praktisch keine eigenständige Kunst gibt und dass auch Kollektive nichts Geniales hervorbringen können, aber dafür mit perverser Vehemenz die Wichtigkeit ihrer Werke inszenieren oder es im schlimmsten Fall erst gar nicht versuchen.

Alles wirkte gezwungen spontan. Kollektive Küche, antiautoritärer Kindergarten. Wie das Leben auf der Welt mit Sinn gefüllt wird, ist mir nicht offenkundig geworden. Bloß das Zusammenrotten in Kollektiven, um den staatlichen und kapitalistischen Gebilden etwas entgegenwirken zu können. Notwehr statt Revolution.

Jetzt haben wir das Elend gesehen und sind so schlau als wie zuvor. Die anderen Kontinente haben sich uns gezeigt. Sie sind genauso verzweifelt kapitalistisch und haben genauso wie wir eigentlich keine Lösung parat. Ausbeutung von Mensch und Natur können sie nicht eindämmen. Auch nur hilflos anklagen. Radikal war die Kunst bloß im Skandal, der nicht beabsichtigt war.

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