
Erst sind es edgy Jugendliche, und heute immer mehr Normalos: Rücksichtsloses Eingreifen in den öffentlichen Raum nimmt zu. Da ist gar nichts mehr normal dran.
Ich kaufe ein. An der Kasse: eine offensichtlich queere Verkäufer*in. Mir ist es egal. Ich bin müde, will nur nach Hause. Leicht irritiert, aber zu müde, um mich aufzuregen über etwas, worüber sich Cis-Männer ja allzu häufig aufregen: unangepasste Menschen, die einfach nur ihr Leben leben wollen. Sie wollen ja keine Anerkennung dafür, so zu sein, wie sie halt sind.
Dagegen kurz zuvor: Ich gucke nach Grünkern-Schrot. Neben mir quasselt jemand. Ich kann es mir schon denken: Der will nichts von mir, der hat bloß einen Bluetooth-Kopfhörer auf oder Airpods drin. Und verdammt noch mal: Ich fühle mich irritiert und könnte schreien: „Pisser! Wenn du telefonierst, dann unterhalt bitte nicht den ganzen Laden!“
Aber es ist spät, ich will nicht anecken.
Heute hat sich dieses unangepasste Verhalten, unsozial könnte man es gut und gerne nennen, so sehr normalisiert, dass sich normale, angepasste Menschen nicht mehr trauen, ihren Mund zu öffnen und die Unangepassten auf ihre Dreistigkeit, mit der sie den öffentlichen Raum für sich beanspruchen, hinzuweisen. Ja, sie zu maßregeln.
Grenzen werden täglich verschoben und sie zu setzen, hat keinen Zweck mehr.
Herrscher über den öffentlichen Raum
Auf dem Nachhauseweg dann das nächste Pack: Ein Radfahrer, also vielmehr jemand, der gerade sein Radel besteigen will. Kein Problem, denkt man. Nur, dass die Musik, die ihn umgibt, nicht aus der Wohnung dringt, die er gerade verlassen hat, sondern aus seinem Rucksack. Es ist schon Viertel nach zehn, aber das ist ihm egal: „Mir gehört die Welt, was kümmern mich meine Mitmenschen, die vielleicht früh aufstehen müssen und ihr Fenster wegen der hohen Temperaturen offen halten?“
Diese Menschen braucht die Wirtschaft. Sie kaufen Airpods, Boomboxen, Bluetooth-Kopfhörer. Ohne sie gingen Mediamarkt, Amazon und die ganzen Ramsch-Onlinehändler pleite. Aber ich brauche diese Menschen nicht. Sie sind mir lästig, sie sind Abschaum, wissen aber gar nichts mehr von ihrer Schäumigkeit.
Der öffentliche Raum wird zu ihrer exklusiven Bühne. Sie sind Herrscher über die Lautstärke, über die Sympathie, die Blicke, die sich streifen. Sie nehmen alles in Beschlag und verderben die Ordnung. Sie müssten gemaßregelt werden, aber sie setzen ihre Agenda durch und kennen schon längst keinen Anstand mehr, da dieser ohnehin zerstört ist.
Es braucht mehr Mut, ihnen, den Unangepassten, die Grenzen des öffentlichen Raums zu erklären, sie zu maßregeln. Und mit den Konsequenzen zu drohen: Sich in ihre Gespräche einzumischen. Sich ebenso unangepasst in ihre Komfortzone begeben und diese zu verletzen. Vielleicht wissen sie dann, wie es sich anfühlt, ein Arschloch zu sein. Sie, die Arschlöcher, machen dann eben mal Bekanntschaft mit anderen Arschgeigen.