
Sonntags nichts vor? Na, dann ab ins Museum. Das dachte ich mir am 2. April. Einen Tag zuvor hat die Ausstellung „Pole Position“ im Kasseler Kunstverein eröffnet. Untertitel der Schau von René Wagner: Hochglanzkultur und maskuline Zerbrechlichkeit.
Poleposition – da denke ich an den ersten Startplatz bei der Formel 1. Der erste Parkplatz bei der gleichnamigen Schau von René Wagner im Kasseler Kunstverein ist gleich vor dem Eingang. Mit gelber Fahrbahnmarkierung ist er dort quer zu den Säulen des Fridericianums markiert.
Im Inneren zieht es sich so weiter. Überall Parkplätze. Die wirken merkwürdig deplatziert im Museumskontext, ohne Abrieb von Reifen, ohne Staub und Ölspuren. Angeblich sollte in einer der Parkbuchten noch ein echtes Auto stehen, das jedoch nicht in den Ausstellungsraum bugsiert werden konnte.

Vorbild für Wand war Bild der Tochter
Eine circa drei Meter hohe Ausstellungswand zerschneidet den großen, hellen Ausstellungsraum. Laut dem Begleittext zur Schau lässt sie nach dem Vorbild von Christopher Williams’ Ausstellungsarchitektur ein riesiges Vehikel erkennen. Als imposante Skulptur teile sie die angrenzende Wand und verkeile sich in den Nachbarraum, heißt es dort. Die junge Frau am Museumsschalter erklärt mir, dass die Form der Ausstellungswand auf einer Zeichnung basiert, die die Tochter von René Wagner gemalt haben soll.
Das Auto ist deutlich auszumachen. Das Gebilde erinnert an die Gefährte, die über den Bonneville Speedway jagen, eine Rennstrecke auf einem Salzsee in den USA. Dort wurden viele Geschwindigkeitsrekorde aufgestellt. Zusätzlich wird das Gefährt von unten mit roten Neonlichtern angestrahlt, wie man es von Tuning-Karossen kennt. Das Videospiel Need for Speed Underground lässt grüßen. Doch düstere Raserstimmung will nicht so ganz aufkommen, dazu ist der Museumssaal viel zu hell.

An der Seite sitzen in mehreren Aussparungen bekannte Arbeiten von René Wagner: darunter die Meissen-Felge und eine weitere „Versace“ getaufte Alufelge. Sie lassen das Gefährt scheinbar rollen. Ebenfalls passend dazu trägt das stilisierte Auto einen weißen Heckspoiler, der in Relation zum ganzen Gefährt viel zu klein ausfällt und augenscheinlich von einem echten Auto stammt. Er ist wie die Meissen-Felgen weiß lackiert und mit Decals, also Stickern bekannter Marken, beklebt.
Diesmal keine Kunst auf Sockeln
Im Raum verteilt sind Beton-, Porzellan- und Gipshelme. In den Aussparungen, die in das Gefährt eingelassen sind, finden sich auch Endrohrvasen. Bei bisherigen Ausstellungen waren die Vasen laut Begleittext immer auf Sockeln abgestellt.
Doch was soll mir das alles sagen?
Im Begleittext heißt es: „In der Leidenschaft und Ausdauer der Menschen, die ihre Autos tunen und diese dann abends vor den Bushaltestellen außerhalb des Dorfes präsentieren, sieht der Künstler eine Parallele zur Kunstwelt, denn auch sie ist immer auf der Suche nach dem größten, schönsten und gelungensten Kunstwerk. Tuningszene in der Scheune versus Kunst im Atelier bzw. Tuningszene auf dem Parkplatz versus Kunst im Ausstellungsraum.“

Natürlich steckt hinter der Kunst von René Wagner mehr als nur die perfekte Ästhetik. Mich beeindrucken gerade die Lackierarbeiten, bei denen die Ästhetik durch nachgeahmte Zerstörungen, Kratzer, Imperfektionen gestört wird. So entsteht eine herrliche Irritation. Eines dieser Werke wollte ich dem Künstler einmal abkaufen. Abgesehen davon, dass es längst verkauft war, hätte ich es mir als Student ohnehin kaum leisten können. Es zeigte in meinen Augen eine Ölspur auf Asphalt.
Meissen-Felgen sind das Highlight
Am auffälligsten in der Ausstellung sind sicherlich die Meissen-Felgen. Sie sind für mich das Highlight der Schau. Die totale Perfektion für jedes Detail und die damit verbundene Wertschätzung kommt hier laut Ausstellungsflyer zur Geltung. Die Tuner hegen und pflegen ihre Gefährte in etwa so wie Oma ihr Porzellan, das nur zu besonderen Anlässen – wenn überhaupt – aus dem Schrank bzw. der Garage geholt werden darf.
Demgemäß soll die Pole Position den Beginn zur Reflexion der eigenen Haltung darstellen. Das finde ich persönlich etwas hochtrabend. Doch in Ansätzen kann ich nachvollziehen, was mir der Begleittext da sagen will. Die hervorgehobenen Objekte können in ihren Eigenschaften fetischisiert werden. Manchen Menschen sind die Dinge kostbar und sie investieren ihr ganzes Vermögen in die automobile Verrücktheit: hier noch ein neues Anbauteil, eine neue Lackierung oder die perfekte Soundanlage.

Hanteln hätten sich noch gut gemacht
Dass es uns in vielen Bereichen eigentlich genauso so geht – ob es nun Kleidung, Schmuck oder die liebgewonnene Stereoanlage ist –, das muss man sich dann schon selbst dazudenken. Wir können uns oft nicht eingestehen, dass wir ganz eigene Schönheitsideale und Begierden haben. Bei den Tunern wird es bloß so kindlich nach außen gekehrt, dass uns schnell klar wird, dass hier eine Obsession vorliegt.
Die Ausstellung ist empfehlenswert, auch wenn mir der weiße Ausstellungsraum etwas karg vorkommt. Sicherlich hätten sich die stilisierten Hanteln hier noch gut unterbringen lassen. Die zeigte René Wagner vor ein paar Jahren bereits in der documenta-Halle bei der Examensausstellung.
René Wagner (* 1983) kommt aus Hildesheim. Er lebt und arbeitet in Kassel, wo er Bildende Kunst studiert hat.