
Spotify nervt! Es sorgt bei mir für ständige Adrenalinschübe. Ein Like für einen Song oder einen Podcast – und schwups landen immer mehr ähnliche Sachen in meinen Vorschlägen. Daher sage ich jetzt: Tschüss, Spotify!
Automatisch klicke ich auf meine Lieblingssongs („Herzchen“) und schon höre ich immer dieselbe Soße – als hätte ich ein Top-40-Radio angestellt. Es ist halt MEIN Top-40-Radio. Ich hasse mich mittlerweile für meinen eigenen Musikgeschmack. Alles kommt mir so durchgekaut vor. Und trotzdem klicke ich immer wieder darauf – bis ich nicht mehr kann und mir lieber tagelang gar nichts anhöre.
Früher entdeckte ich neue Musik im Radio. Bei mir in Hessen hatte YouFM abends ab 21 Uhr diverse Spezialsendungen. Dann googelte ich die Künstler – und fand Profile im Internet – Soundcloud, YouTube, Bandcamp und auch Filesharing-Seiten. Zudem gab es Hunderte unabhängige Blogs, auf denen man Musik zum Teil auch downloaden konnte.
Klar, legal waren die meisten Portale nicht. Das war noch unfairer gegenüber den Künstlern als das umstrittene Pro-rata-Modell von Spotify. Denn die Künstler sahen keinen Cent für ihre illegal von anderen bereitgestellte Musik.
Früher habe ich stärker selektiert
Für mich hatte das, wenn auch illegale Modell, aber einen entscheidenden Vorteil: Ich habe stärker selektiert. Denn ich hatte wegen der damals noch beschränkten Internet-Bandbreite nicht den Nerv, stundenlang Musik zu laden. Mein Musikgeschmack hat sich dadurch mehr an einzelnen Künstlern orientiert als an Playlists oder Genres. Und ich habe genau recherchiert, was die Künstler sonst noch so machen. Zuweilen habe ich mir auf Blogs Interviews mit ihnen durchgelesen oder auf YouTube Liveauftritte angesehen.
Das Gefühl war: Ich muss von diesen Künstlern ALLES hören, alles über sie herausfinden, sie praktisch stalken. Wenn sie in der Nähe auftreten, bin ich der Erste, der das weiß und Karten kauft. Gut, hier kam eigentlich nie einer vorbei und weil ich noch jung war, habe ich mir auch keine Karte für eine andere Stadt gekauft. Aber zumindest war der Wunsch da, diesen Künstlern einmal live zu begegnen und ihre Musik zu genießen.
Heute sind es die Fülle und das Überangebot, die mich überfordern. Der Reflex: Ich skippe schnell durch neue Alben, die mir Spotify aber auch nur in den Genres automatisch vorschlägt, die ich „mag“. Dadurch erweitere ich meinen Musikgeschmack nicht, sondern bekomme immer mehr von derselben Soße. Ich lasse mich auch nicht auf Alben ein, die zur Hälfte Songs enthalten, die mich nicht fesseln, obwohl der Rest vielleicht sensationell ist.
Ich bin immer noch wählerisch
Gleichzeitig sorgt das dafür, dass ich heute einen weniger vielfältigen Musikgeschmack habe als noch vor zehn Jahren. Damals ließ ich mich auf alles ein. Saugte alles auf wie ein Schwamm. Ließ mich inspirieren und machte viele neue Trends mit, die ich heute zum Teil auch nicht mehr ausstehen kann. Dubstep zum Beispiel.
In meinen „Lieblingssongs“ bei Spotify sind heute nicht mal 400 Songs. Ich bin immer noch wählerisch. Das sorgt nun aber dafür, dass ich gerade die zuletzt hinzugefügten Titel rauf und runter höre, bis ich erbreche. Früher ging es mir bei kompletten Alben so, die ich mir heruntergeladen hatte. Aber ich behielt sie eigentlich immer gut in Erinnerung für ihren Stil und ihre Aussage. Heute entherze ich den Song einfach und die Geschichte zwischen ihm und mir ist dahin. Er spielt in meiner musikalischen Sozialisation prompt keine Rolle mehr.
Die MP3s von damals habe ich dagegen fast alle noch auf meiner Festplatte. Und auch meine CDs habe ich seit meiner Kindheit noch im Regal stehen. Es sind nicht allzu viele. Vielleicht 50 oder 60. Aber ich hab sie lieb, weil ich mit ihnen eine Phase meiner (musikalischen) Sozialisation verbinde. Heute: ein Klick und weg.
Spotify macht es einem zu leicht
Was also stört und gehört behoben? Das Entdecken von neuer Musik. Die Erinnerung an Musik. Und das Erlebnis beim Abspielen neuer Musik.
Spotify macht es einem zu leicht, neue Musik oberflächlich zu entdecken. Es sind kein Aufwand und keine Neugierde mehr erforderlich, einem Künstler nahezukommen. Es ist einfach schon alles da und konsumierbereit. Der Aufwand ist dahin, ein Forum aufzusuchen, sich strafbar zu machen, weil man illegal über Filesharing einen Song, ein Album oder gleich die ganze Diskografie eines Künstlers herunterlädt.
Das ist aus vielen Gründen auch gut so. Aber weil die Einfachheit so verlockend ist, macht sie mich müde, träge und dadurch auch faul. Faul, selbst nach neuer Musik zu suchen und mich mit Vorschlägen nicht zufriedenzugeben.
Heute höre ich gefühlt zwar mehr Künstler, es ist aber wesentlich anstrengender und die Geheimtipps schlägt mir der Algorithmus auch nicht vor. Was also tun?
Spotify nur Stellvertreter
Spotify steht hier nur als Vertreter für das gesamte Streaming-Angebot. Auch Apple, Amazon, YouTube, Deezer, Tidal und viele mehr wollen am Streaming verdienen. Hier und da wird mehr Wert auf Soundqualität gelegt und die Playlists sind zuweilen händisch ausgewählt. Aber die Masse und somit die Qual der Wahl erschlägt bei Streaming einfach immer. Und das ist ja das Problem, was ich angehen möchte.
Dass es neben der Ermüdung weitere Probleme gibt, brauche ich eigentlich nicht zu erwähnen: Der Energieverbrauch ist enorm und kleinere Künstler werden nicht ausreichend entlohnt. Sicherlich gibt es noch viele andere Argumente gegen das Streaming. Mein Problem ist aber die Soße, die mir aus den Ohren quillt. Wie wird aus der Soße wieder ein Brei oder gar etwas Festes zum Kauen?
Zumindest für Podcasts bräuchte ich Spotify nicht. Da reicht auch ein Podcatcher auf dem iPhone oder am PC. In meinem Fall geht das auch easy, weil ich keine Podcasts höre, die es nur exklusiv auf Spotify gibt.
Zurück ins Analoge will ich nicht
Bei der Musik sieht es schwieriger aus. Zurück zum Walkman oder Diskman? Das ist für mich nicht die Lösung. Ich will auch nicht zurück zum iPod. Ein iPhone hab ich sowieso, ein Extragerät muss ich mir dann auch nicht kaufen. Das wäre idiotisch.
In den vergangenen Monaten ist mir jedoch eine Idee gekommen: Warum höre ich nicht einfach mehr CDs? Die kosten gebraucht oft nur wenige Euro. Und bei meiner Familie, Freunden und Verwandten liegen sie noch zuhauf herum. Sogar in der Stadtbibliothek, wo ich eh Mitglied bin, kann ich mir welche leihen.
Denn ganz zurück ins Analoge will ich nicht. Platten sind zwar schön, vor allem wegen der Cover. Aber ich halte mich lieber aus der Soundqualitätsdebatte heraus und habe einen Player weniger herumstehen.
Für meinen Laptop habe ich ein externes Laufwerk. Wenn ich was Tolles höre, dann rippe ich es mir. Hohe MP3-Qualität (320 KB/s) reicht mir. Langsam füllt sich meine persönliche Sammlung. Ich nutze dafür iTunes, was jetzt Apple Music heißt. Über 7000 Songs habe ich auf meiner Festplatte. Da müsste ich mal aussortieren. Auch hier kann ich Playlists erstellen und wenn ich mal DJ spielen wollte, dann könnte ich die MP3s gleich in einem DJ-Programm nutzen, was Spotify nicht erlaubt.
Bewusster Verzicht aufs krasse Überangebot
Mit der Zeit wächst jetzt meine eigene Sammlung von Lieblingsmusik. Die gleiche ich regelmäßig mit meinem iPhone ab. Klar, nicht jeder hat ein Modell mit 256 GB Speicher. Aber man muss ja auch nicht seine komplette Sammlung immer mit sich herumtragen. Früher hatten die iPods ja auch oft nur 16 GB Speicher. Zudem hat ja auch nicht jeder ein iPhone mit festverbautem Speicher. Viele Android-Handys lassen sich günstig mit Speicherkarten erweitern.
Die Lösung finde ich nicht schlecht. Ich verzichte bewusst auf ein krasses Überangebot und muss mich bescheiden mit dem, was ich mir selbst suche. Dadurch wird mir aber auch nicht automatisch etwas aufgeschwatzt. Dazu habe ich von vielen Künstlern auch noch etwas in der Hand: eine CD mit Booklet.
Jetzt muss ich selbst herausfinden, was mir gefällt. Der Algorithmus kann immer noch helfen, aber nicht als Dauerbeschallung, sondern Tool, das ich nur nutze, wenn ich es will. Die 9,99 Euro im Monat stecke ich jetzt in CDs, die nicht verschwinden, bloß weil ich kein Kunde mehr bin.