Ach, Instagram! Ich hasse dich, kann aber ohne dich auch nicht

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Insta ist überall, sogar im Tierreich. (Foto: Paul Bröker)

Vor über einem Jahr schrieb ich darüber, wie ich Social Media den Rücken gekehrt habe. Es ist ein Jahr vergangen und Instagram und LinkedIn haben mich wieder.

Erst schreibe ich einen ellenlangen Text darüber, wie sehr ich Insta und Co. hasse – und jetzt bin ich plötzlich wieder da. Was ist bloß in mich gefahren? Schäme ich mich nicht?

Eines muss ich vorwegnehmen: Ich war nie komplett weg von Social Media. Im Job brauchte ich ein Facebook-Konto. Daran gekoppelt war ein Vereinsprofil, das ich nicht verlieren wollte. Bei Instagram war ich wöchentlich unterwegs. Der Verein hatte auch dort ein Konto, über das ich zwar nicht meinen Freundeskreis stalken konnte, aber immerhin die komplette Kulturlandschaft meiner Stadt.

Zusammengefasst: Ich war nie weg, hatte aber deutlich weniger Screen Time.

In der Zwischenzeit hat sich manches geändert. So bin ich seit einem Dreivierteljahr arbeitslos. Seitdem bekomme ich gefühlt mehr Stellenanzeigen von Freunden geschickt, als ich selbst finden kann. Das machte mich stutzig. Es stellte sich heraus: Die sind alle bei LinkedIn und kriegen aus ihrer Bubble die geilen Jobs vorgeschlagen. Das wollte ich auch. Daher meldete ich mich wieder an, um auch eine Stelle abzubekommen. Die meisten Kontakte sind jetzt wieder geknüpft – bloß habe ich immer noch keinen Job.

Ich musste zurück

Kommen wir zu Instagram. Das Privatleben: Freunde, Bekannte, ja sogar Familie – jeglicher Austausch ist heute durch digitale Kanäle bestimmt. Man selbst ist ohne Netzwerk ein unsichtbarer Niemand, was ja per se nicht schlimm wäre. Dass man aber gar nicht mehr wahrgenommen und im Zweifel kontaktiert werden kann, das ist schwer auszuhalten.

Bei mehreren Events machte ich in diesem Sommer Fotos. Ehrenamtlich, aber mit Anspruch. Dicke Spiegelreflex, bearbeitet mit Photoshop. Es fragten mich viele, wo sie denn meine Fotos sehen könnten und ob ich bei Insta sei. Nee, hab kein Konto mehr dort, sagte ich ihnen. Beim nächsten Event das Gleiche. Und wieder das Gleiche. Auch im Freundeskreis: Hast du dies gesehen, hast du davon mitbekommen? Nee, wo hast du davon gehört? Ja, bei Insta, wo denn sonst?

Es hat sich daher einfach aufgedrängt: Ich musste zurück. Es gab keine andere schlüssige Antwort auf gefühlte soziale Isolation und Abgehängtsein vom Gossip. Insta hat mich seit zwei Wochen wieder. Ist es besser geworden? Keinesfalls! Ist es genauso wie vorher? Nein, eher noch schlimmer. 

Mit dem Strom schwimmen

Man kann daher zu Recht fragen, warum ich dann wieder da bin. Bin ich einfach ein armseliger, schwacher Mensch, der soziale Anerkennung braucht? Ja, im Grunde ist es das. Ich will einfach unter Gesellschaft sein und mit im Strom schwimmen. Es kostet Kraft, dagegen anzukämpfen. Lauter Erklärungen, Ausflüchte, Lügen. Am Ende wusste ich selbst nicht mehr, wie ich Leuten erklären soll, dass ich toll und stark bin, weil ich Insta und den anderen Plattformen widerstehe.

Kurz: Ich will einfach nicht besonders sein. Ich will einfach Teil meiner Generation sein. Deswegen bin ich bei Insta (als 31-Jähriger) und nicht auf TikTok. 

Natürlich merke ich auch jetzt wieder, wie belanglos es eigentlich ist, da mitzumachen. Ja, man kriegt diese Adrenalin-Schübe von jedem Herz und jeder Nachricht. Aber es nutzt sich ab und die eigenen Ziele (welche eigentlich?) erreicht man dadurch auch nicht. Aber ohne Account ist es auch doof und man ist nicht Teil der Gruppe. Es gehört halt einfach dazu, wie die Luft zum Atmen und das warme Wasser aus der Dusche.

Sozialer Raum im Netz

Ja, jetzt sind wir an dem Punkt, der eigentlich genau den Kern trifft: Warum hinterfrage ich mein Social-Media-Game dann überhaupt? Warum war ich dann ein Jahr weg, ohne eigenes Konto? Warum bin ich jetzt wieder zurück?

Die definitive Antwort darauf gibt es nicht. Aber ich hab festgestellt, dass ich mich nach Gemeinschaft, Liebe, Zweisamkeit und Sinn sehne – und dort suche, wo sie sich verstecken könnten. Dort, wo Menschen sind, die interessant, sozial, liebenswürdig erscheinen. Eben in einem geteilten Raum, den ich so vor meiner Tür nicht mehr sehe, womit ich stark hadere und was ich eigentlich nicht akzeptieren will.

Ich habe mir eingebildet, ich könnte meine sozialen Bedürfnisse noch offline stillen. Einfach in den Club gehen, Leute ansprechen, neue Kontakte und Freundschaften knüpfen. Aber weit gefehlt. Das geht heute gefühlt nur noch in Institutionen: Kindergarten, Schule, Uni, Arbeitsplatz, Verein. Als Arbeitsloser ist man noch weniger Teil davon.

Hadern und mitmachen

Die Arena des Zusammentreffens ist aber auch für Beschäftigte nicht mehr die Gesellschaft auf Plätzen und an öffentlichen Orten. Heute ist man nicht mehr bereit, von Fremden angesprochen zu werden. Offen für Vielfalt. Schön wär’s. Man braucht heute viel länger, um sich zu beschnuppern. In den Institutionen geht das noch einigermaßen. Aber wenn es schwerfällt, sich anzuschließen oder man einfach nicht das Richtige findet? Ja, dann halt Pech – oder versuch’s doch mal im Netz. Die Pauschalantwort auf alles: Da gibt’s doch ’ne App für!

So suche ich im wahren Leben nach Gemeinschaft, Liebe, Zweisamkeit und muss doch den Umweg über die Online-Plattformen gehen, erstmal den Screen vor der Nase. Kein Witz: Selbst mein Therapeut sagt, dass an Dating-Plattformen praktisch kein Weg mehr dran vorbeigeht. Der unschuldige Traum von den Blicken, die sich im Raum treffen und nicht mehr voneinander lassen können? Passé! Dafür gibt’s Tinder, Bumble und Hinge.

Irgendwie kann ich mich damit nicht zufriedengeben. Bin einfach zu widerspenstig. Und das ist meine Lösung: hadern und irgendwie doch teilweise mitmachen. Mal mehr, mal weniger. So ganz geheuer ist es mir am Ende nicht. Aber ist es mir geheuer, meine sozialen Bedürfnisse komplett zu vernachlässigen? Nee, natürlich auch nicht. Von daher schreibe ich Texte darüber, warum ich Insta hasse, und dennoch nicht davon lassen kann. Die Aufrufzahlen des Ursprungstextes beweisen mir, dass es vielen so geht. 

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