
Die lang ersehnte Tour des Pariser Elektro-Duos machte am 14. Dezember 2024 in der Berliner Max-Schmeling-Halle Halt. Selbst die Hits vom ersten Album tönen frisch wie eh und je.
Elektronische Musik gut zu performen, ist kein Klacks. Zwei Mediaplayer, ein Mischpult und eine fette Anlage tun es dafür in den meisten Clubs. Lichteffekte und eine Nebelmaschine tun ihr Übriges. Doch Justice, das weltbekannte Produzenten-Duo, verschanzt sich auf seiner „Hyperdrama“-Tour hinter chrom-glänzenden Mixern und Synths auf einer minimalistisch gehaltenen Bühne.
Allein durch das Setup lässt sich die Begierde der rund 10.000 Fans in der Max-Schmeling-Halle keineswegs erklären. Auch nicht durch die zwar zusprechende Animation von Gaspard Augé und Xavier de Rosnay, die streng genommen aber vor allem durch ihre mit goldenem Stoff und Pailletten gefertigten Oberteile brillieren.
Justice lassen lieber satte Bass-Bretter und grelle Lichteffekte für sich sprechen. Und sie überzeugen damit, obgleich alles bekannt vorkommt. Im Grunde ein einziges Hyper-Mashup der bisherigen vier Alben.
Justice als Einstiegsdroge
Den Anfang macht „Genesis“ vom ersten Album „Cross“. Kreischender Jubel, Videomaterial für die Smartphonespeicher, Geschunkel statt krasser Dance-Moves in der Crowd.
Aber eigentlich ist Justice ohnehin nur Einstiegsdroge für Menschen, die sich in Technoclubs die Nächte um die Ohren schlagen wollen. Für diejenigen, die vorher schon auf elektronische Tanzmusik abgefahren sind, kann Justice nur als Fastfood herhalten.
Ja, die Tracks sind bravourös gemischt. Sie verschmelzen derart, dass nicht immer klar ist, welche und wie viele Originale eine Einheit bilden. Keine Blöße geben sich die Beiden, sie sind bigger than life. Müssen sich nicht in engen Clubs ihren Salär verdienen, spielen stattdessen ausschließlich eigenes Material vor Tausenden.
Überhöhung der Tonträger
Ein Gig von Justice ist die Überhöhung der Tonträger. Kein Handy kann zerschneidende Höhen und markerschütternde Bässe aus dem Line Array einfangen, geschweige denn wiedergeben. Es ist ein überwältigendes Erlebnis.
Justice sublimieren ihre eigene Produktion und es stellen sich Fragen. Ist es so wie der Unterschied zwischen „James Bond“ in der IMAX-Vorstellung und dem „Tatort“ aus dem Wohnzimmer-TV? Kann einen die Perspektive allein mitreißen? Wohl kaum, aber auch!
Zeitweise hören sich 17 Jahre alte Tracks aber auch an wie eine Persiflage auf das eigene Schaffen. Der zweifach gespielte Dauerbrenner „We Are Your Friends“ zum Beispiel. Hier merkt man den beiden Parisern an, dass sie Ballast mit sich tragen, den sie jedoch ohne Reue transportieren – eben zur Pflege des Markenkerns.
Alle Tracks klingen frisch
Man kann das albern finden: Zugegebenermaßen perfekt gemischte Spuren zum Leben erwecken, aber gleichzeitig Erinnerungen hervorrufen, die für viele der Anwesenden noch frisch sind. Kaum ein Besucher ist jünger als Mitte 20, kaum einer älter als Mitte 40. An Herkünften bunt gemischt, mit Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch als subjektiv meist wahrgenommenen Sprachen.
Erstaunlich ist, wie frisch alles trotzdem klingt. Ob „Audio, Video, Disco“, „Neverender“ oder „Stress“. Alles erstrahlt glänzend, dank der Edits für die Show. Und alles geht nahtlos ineinander über. Große Kunst, bei der Gaspard Augé und Xavier de Rosnay cool bleiben, aber bis auf ein paar ermutigende Gesten kaum mit der Crowd kommunizieren. Das passt. Der Zauber ist größer als die Zauberer.

Dagegen ist die gut einstündige DJ-Einlage der Waliserin Kelly Lee Owens, die im Vorprogramm auftritt, zackiger, aber nicht ansatzweise so geladen. Sie spielt ein gutes Set, das jeder Booker mit Kusshand für seinen Club genommen hätte. Doch so richtig zündet der Funke erst bei Bangern, die der Produktionskunst von Justice ähneln.
Die lautstark und mit Handytaschenlampen geforderte Zugabe haken Justice in 15 Minuten ab, scheinen selbst perplex ob der Begeisterung ihrer Fans. Verbeugen sich, zeigen sich nahbar, signieren Merch und LPs, bevor die Roadies die Bühne demontieren. In Paris geht es weiter.