
Der Erfolg der AfD führt dazu, dass Dreierkoalitionen in Deutschland auf Bundesebene zur Normalität werden könnten. Das ist keine gute Nachricht.
Die AfD liegt in Umfragen bei mehr als 20 Prozent bei der Sonntagsfrage. Immer lauter werden nun die Stimmen, die fordern, die rechtspopulistische Partei zu verbieten. Würde ich sie gerne verbieten? Auf jeden Fall. Denke ich, dass man diesem Impuls als Gesellschaft sinnvollerweise folgen sollte? Nein, keinesfalls.
Die AfD ist Ausdruck von Abscheu gegenüber dem Status Quo. Dieser Zorn, diese Wut, würde sich bei einem AfD-Verbot Wege suchen, die ebenfalls der freiheitlich demokratischen Grundordnung entgegenstehen würden.
Man kann sich fragen: Welch radikaleren Protest kann man sich vorstellen, als einer Partei die Stimme anzuvertrauen, die das System, das diese Stimme ermöglicht, am liebsten beseitigen will?
Die Enttäuschung über die Ampelparteien, aber auch über die Union, die keine Alternativen aufzeigt, ist groß. Die selbsternannte „Alternative“ verspricht lautstark, das System einzureißen und einen Wandel herbeizuführen. Und wer fühlt sich nicht gelähmt von Kompromissen und würde am liebsten eine Alleinregierung seiner politischen Farbe dem Ampel-Mischmasch vorziehen?
Die sich ankündigenden Protestwähler wissen sehr wohl, dass die AfD undemokratische Ziele verfolgt. Sie ist fremdenfeindlich, über die Maßen wirtschaftsliberal und poltert gegen Minderheiten und Arme. Alles sehr unangenehm.
Doch die Mahner, die an die 1930er-Jahre erinnern, werden von diesen Wählern ignoriert. Dabei ist die deutsche Nazi-Vergangenheit natürlich das beste Argument für Verfassungsfreunde, ein Verbotsverfahren nicht noch weiter aufzuschieben.
Für das Verbotsverfahren liefert die AfD im Übrigen immer mehr Gründe, Stichwort Remigration. Die von der Correctiv-Recherche angestoßene Debatte hat Zehntausende Bürger auf die Straßen gebracht, auch wenn ihr Protest medial nicht so groß beachtet wurde wie derjenige der Bauern.
Dabei würde ich jedoch genau wie die Protestwähler den Fokus auf das System als Problemursache legen. Denn die AfD ist bloß ein Symptom für die zunehmende Dysfunktionalität des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland.
Bei der nächsten Bundestagswahl würde es nach der aktuellen Sonntagsfrage wieder nur auf eine Dreierkoalition hinauslaufen – diesmal von den Unionsparteien angeführt. Doch Union, SPD und Grüne in einer Regierung wären wohl noch zerstrittener als die Ampel. Mit dem Auftreten des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) wird das politische Spielfeld der BRD noch zersplitterter.
Die AfD wird somit tatsächlich immer mehr zur „Alternative“, da mit dem wahrscheinlichen Ausscheiden von FDP und Linke praktisch alle übrigen Parteien in die Regierung müssen, das BSW vielleicht ausgenommen. Es läuft aktuell auf ein Kenia-Bündnis hinaus, das wiederum ein einziger Kompromiss wäre, den die Union nur eingeht, um nicht den Pakt mit dem blauen Teufel einzugehen.
Die alteingesessenen Parteien können sich in Dreier- oder sogar Vierer-Koalitionen jedoch kaum noch profilieren und treiben damit der AfD immer mehr Wähler zu. Heiner Flassbeck hat diese Pattsituation, vor die uns das deutsche Verhältniswahlrecht stellt, bereits treffend analysiert.
Irgendwann reißt womöglich sogar bei einer anderen Partei als CDU/CSU die viel beschworene Brandmauer ein und die AfD kommt doch in Regierungsverantwortung.
Flassbeck schlägt ein Mehrheitswahlrecht wie in den USA vor, das uns erlösen könnte. Und tatsächlich müssen sich die demokratischen Parteien überlegen, wie lange sie die AfD noch ausschließen und somit gleichzeitig ihren eigenen Verfall beschleunigen.
Gäbe es aus dieser Situation zumindest kurzfristig einen Ausweg? Bei einem Erstarken des neu gegründeten BSW bei gleichzeitigem leichten Anstieg in der Zustimmung für SPD und Grüne könnten zumindest auf dem Papier drei linke Parteien eine knappe Mehrheit formen. Sie wären sich möglicherweise in vielen Punkten einiger als die heutige Ampel. Danach sieht es aber längst nicht aus. Eher ist zu befürchten, dass das BSW bei den linken Parteien wildert und nicht bei AfD und Union.
Ganz abwegig wäre es auch nicht, dass sich die Union statt Grünen oder SPD das BSW als dritten Koalitionspartner ins Regierungsboot holt. Aber das ist alles Zukunftsmusik. Doch ich höre schon die dystopischen Klänge.