Bipolare Störung: Ausgelassen und dennoch gesund leben

Bipolare Störung: Mehrere Hasen in einem Prisma.
Bipolare Störung: Mehrere Hasen in einem Prisma.
Die verzerrte Realität der anfänglichen Manie kann süchtig machen. Besser: Die richtige Dosis finden. (Symbolfoto: Steven Weeks/Unsplash)

Darf ich noch laut sein? Aufbrausend? Distanzlos? Das fragt man sich, wenn man eine Bipolare Störung hat, nach der ersten oder letzten Manie. Die Antwort liegt wohl in der richtigen Dosis – und damit sind nicht Medikamente gemeint.

Wie ein Wasserfall rede ich auf meine beiden Freude ein. Sie sind extra meinetwegen in das Krankenhaus am Stadtrand gekommen. Und sie sind erstaunt: Sie haben mich als leise, gar schüchtern in Erinnerung. In der Schulzeit kam ich nicht aus mir heraus, konnte mit den Gleichaltrigen wenig anfangen und blieb lieber für mich.

Jetzt schwafele ich sie voll und sie können ihren Augen und Ohren nicht trauen: Ist das noch der alte Freund? Was ist mit ihm los? Er gestikuliert, befummelt sie dabei und läuft wie ein HB-Männchen immer quer durch das kleine Krankenzimmer.

Bipolare Störung: Munter und dennoch gesund?

So ist das: manisch zu sein. Dabei schildere ich hier eine Szene ohne Wahn. Der kam später dazu und entfernte mich weiter von der Realität.

Empathie, so gut auch gemeint, ist nicht angebracht. Hilfe ist, was der Maniker braucht. Ob das immer Medikamente sein müssen, möchte ich hier nicht beantworten.


Die Zeit in der Psychiatrie endet bald. Mal sind es nur wenige Wochen. Manchmal kann es auch ein halbes Jahr dauern, bis die Psychosen halten und der Alltag wiederkehrt. Manch einer mit einer Bipolaren Störung hat von dieser Zeit nicht viel. Schon bald geht es die Achterbahn wieder herunter: in die Depression.

Manie schon als Begriff unbegreiflich

Dies soll hier nicht Thema sein: Denn damit kenne ich mich nicht gut aus. Bei mir kommen ab und an die manischen Phasen. Seit einigen Jahren sind sie mir sogar fremd geworden – durch Lithium und ein weiteres Medikament.

Doch die Erinnerung an die Manie bleibt besonders. Depressionen hat heute gefühlt jeder. Sie sollen damit nicht kleingeredet werden. Jedes Leid verlangt nach Erlösung. Doch „manisch“ zu sein – das ist schon vom Begriff her unbegreiflich. Zumindest treffe ich immer wieder Leute, die damit nichts anfangen können.

Auszuarten und nicht mehr man selbst zu sein, ist auch für die Betroffenen im eingehegten Zustand nicht mehr nachzuvollziehen. Alles scheint im Nachgang absurd. Man traut sich selbst nicht mehr über den Weg.

Aufbrausend, wild, ausgelassen, laut?

Hier setzt dieser Artikel an: Darf ich noch so sein, wie es die Manie zum Äußersten betont hat? Aufbrausend, wild, ausgelassen, laut?

Ja, das ist alles möglich. Aber nicht auf Dauer, sondern mit Pausen und Reflexion und der richtigen Dosis.

Ein durchzechtes Wochenende, schlaflose Partynächte: Das ist oftmals das, wofür man lebt und wodurch man spürt, dass man lebt. Für den Maniker bedeutet es jedoch zugleich, auf die Klippe zu steigen, um endlos den Sonnenuntergang am Horizont zu bestaunen. Unten, ein paar Zentimeter vor ihm, geht es jedoch schon herunter in den Abgrund.

Gleichzeitig zwängt es, sich immer weiter – Zentimeter für Zentimeter – Richtung Abgrund zu tasten, ohne den Absturz zu erleben.

Abstand, obwohl die Manie süchtig macht

Doch es braucht Abstand. Die Klippe ist aufregend, macht mitunter süchtig. Doch was nutzt die Aufregung, wenn man nicht von ihr lassen kann – und dann mit voller Wucht aufprallt und zerschellt?

Abstand zu lernen, ist schwierig. Abzulassen, wenn es am schönsten ist. Sich nicht seinen Emotionen und Begierden zu überlassen, sondern zurückzutreten, um auch in naher Zukunft wieder Spaß haben zu können. Zwar nicht auf Dauer, aber doch stetig.

Konstanz ist das Stichwort. Immer die richtige Dosis setzen. Party, Sex, Alkohol, Drogen. Das alles kann dem Maniker schnell zum Verhängnis werden. Jeder hat seine eigenen Frühwarnsymptome, die hoffentlich nach dem ersten Aufenthalt in der Psychiatrie bekannt sind.

Der Wille zur Gesundheit muss da sein

Die besten Therapeuten können sich jedoch vergeblich abmühen, wenn der Wille zur Gesundheit, zur Konstanz nicht da ist. Gerade die Anfangsphasen der Manie, bei Typ II oft die gesamte Hypomanie, fühlen sich wunderbar an. Plötzlich fällt es nicht mehr schwer, fremde Leute anzusprechen. Das Denken ist schnell, die Laune beschwingt.

Kurz darauf, so auch bei mir, kommen große Pläne ins Spiel. Die Welt ist das Spiel und ich bin am Steuer. Kann alles kontrollieren. Doch merkwürdigerweise fühlt es sich so an, als müssten andere mir da in die Regler fuschen.

Ich fühle mich von Tag zu Tag paranoiden. Wissen die Geheimdienste, woran ich gerade dran bin? Auf Twitter schreiben plötzlich alle so merkwürdige Nachrichten und ich kann gar nicht mehr vom Smartphone, weil ich ja die Ereignisse, die ich mit angestoßen haben, verpassen könnte.

Andere Realität bei Bipolarer Störung

Das kann bei jedem anders sein. So ähnlich habe zumindest ich es erlebt. Geniale Pläne, die geheime Mächte durchkreuzen wollten. Ich in der Hatz meines Lebens, sie noch vor der Entdeckung oder Verschleppung ins herbeigeahnte Foltergefängnis umzusetzen.

Irgendwann überwiegt die Panik und der Zusammenbruch ist nicht mehr weit. Dann kommt der Moment, an dem die Handschellen klicken. Aber das aus ganz anderen Gründen als denen, die der Maniker für wirklich hält.

In seiner Wut zerstört er fremdes Eigentum. Da kann der Rechtsstaat nicht einfach tatenlos zusehen. Dass der Maniker gerade weltumspannende Gedanken hat, kann der Polizist ja nicht ahnen. Welten prallen aufeinander, wobei die eine in einem Kopf gefangen ist.

Richtige Dosis als Lebensaufgabe

Die Konsequenzen sollten damit klar umrissen sein. Wer von den Gedanken nicht lassen kann, der rutscht schnell wieder in eine Phase rein. Doch selbst, wenn die Frühwarnzeichen bekannt sind, ist ein erneuter Höhenflug nicht ausgeschlossen.

Sich selbst einzuschätzen, ist dennoch hilfreich. Die richtige Dosis zu finden, ist fortan Lebensaufgabe. Bei kleinsten Anzeichen rechtzeitig gegensteuern.

Das gelingt nicht immer. Einsicht, dass man krank ist – und das lebenslang, ist unabdingbar. Daraus zu schließen, es nicht überzustrapazieren und bei kleinsten Anzeichen, gegenzusteuern, verlangt Übung. Und Übung macht bekanntlich den Meister. Meister, sein eigenes Leben zu ergreifen, ohne es zu gefährden.

Leidest du selbst unter dieser Erkrankung oder kennst jemanden, der eine Bipolare Störung hat? Informations- und Hilfsangebote findest du unter dgbs.de.

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