Ein paar subjektive Eindrücke vom Friedrichsplatz: Hier startet meine Tour über die documenta 15 in Kassel.
Was soll man von einem Vorurteil halten? Es akzeptieren und blind in diejenigen vertrauen, die es hegen? Die diesjährige documenta 15 macht es einem einfach, sie beiseite zu wischen. Unnötig, antisemitisch.
Man würde es sich damit jedoch sehr leicht machen, wenn auch die Meinungen des Feuilletons nicht unbedingt daneben liegen. Doch sie offenbaren nicht zwingend das, was die Ausstellung beim Betrachter erweckt.
Geröstete Aromen in der Luft. Steak, Kaffee, Pommes. Es duftet verführerisch. Am Friedrichsplatz, sonst nur mit roten Bänken aufgehübscht, eine Seltenheit. Angenehmes Flair, nette Gespräche, gute Stimmung. Die documenta 15 kann auch anders. Nicht bloß negativ. Nicht bloß Antisemitismus-Skandal.
documenta 15 in Kassel: Nonkrong-Choas im Fridericianum
Vor der Fridskul getauften Stätte ist es eng. Es drängeln sich die Besucher in der Schlange, um ins Fridericianum zu kommen. Durch die Säulen, anthrazit, mit weißen Markern bekritzelt: Dan Perjovschi. Was will die Ausstellung? Das wird hier sichtbar. Gemeinschaft, geteilte Ressourcen, Themen endlos diskutieren. Eine Gleichheit weht durch die Luft, kommun ohne rote Fahnen. Dafür Impro und unendliche Ideen für ein besseres gemeinsames Auskommen.
Im Tempel angelangt, wechselt die Farbe der Marker: Schwarz auf weiß. Daneben bunte Bilder von Richard Bell. Aborigines in Acryl, die gegen Unterdrückung protestieren. Sehr plakativ und stumpf antikapitalistisch. Es fehlt der Hintergedanke – doch im zweiten Stock kommt demselben Künstler noch die Offenbarung.
Rechts abgebogen: mitten ins Nongkrong-Chaos. Alles muss irgendwie reflektiert werden bei dieser documenta 15 und alles ist ein Kollektiv, wenn es sich so nennen mag. Aber irgendwie sehr unkonkret. Man mag ahnen, dass sich hier die Verlegenheit der Künstler offenbart, den Raum zu füllen. Das ganze Fridericianum wirkt leer. Viel Luft zum Atmen und spielen. Passend: im Erdgeschoss ein Ikea-inspiriertes Spieleparadies für die Konsumentsagenden.
Im ersten Stock kitschige Wandteppiche im Stil japanischer Holzschnitte. Nichts, was vom Hocker wirft. Doch im zweiten Stock dann doch Denkanstöße. Richard Bell reflektiert seine banale Kapitalismus-Kritik und packt sie im Museum ins Museum. Überragend!
Doch bloß nicht ins untere Toiletten-Geschoss verirren, das Kunst verspricht, aber die muss man sich selbst ins Urinal spritzen. Lassen!
Über den Steinweg, der auch den Holzweg des Kasseler OB markieren könnte. Poller auf dem Radweg. Hier macht Angst vor Anschlägen das heitere Flair zunichte. Wer will, der wird.
documenta 15 in Kassel: Leichen im Wespennest – ästhetisch wertvoll
Der Weg in die documenta-Halle schnorchelt sich durch einen leider nur von außen verrosteten Eingang. Die Blechwände hätten hier deutlich schäbiger gezeigt werden können. Hier hat wohl die Sicherheit überwogen.
Ebenso dunkel das Foyer. Zwei Leichen im stählernen Wespennest. Das stahlharte Gehäuse der Hörigkeit. Kapitalismus-Kritik allerorten? Messer-Mosaike. Gruselig, aber ästhetisch ansprechend.
Schuhe aus? Ich behalte sie an und gehe auf die afrikanische Hollywood-Impro-Truppe zu: Wakaliga Uganda. Aber nicht alles, was originell ist, ist auch gut. Dennoch ist die Begeisterung für den Film spürbar, die die Afrikaner an den Tag legen. Doch die Schärfe der HD-Aufnahmen trübt den Euro-zentrischen Traum von einer anderen, originelleren Filmwelt. Jede Gesellschaft erkennt sich im Kino ihrer Zeit. Was kann Cine-Afrika dem Durchschnittseuropäer 2022 sagen? Bleibt offen.